Der Standard 11. Dezember 2006
Dass die Wiener Philharmoniker ein Männerverein sind, in dem mann lieber
unter sich bleibt, sei "theoretisch vorstellbar" aber faktisch
ausgeschlossen, so Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg.
Eine
Philharmonikerin, viele Philharmoniker Grüne
kritisieren geringen Frauenanteil beim Wiener Orchester - Vorstand: "Jede
Quote geht am Wesen der Kunst vorbei"
Wien
- Ein Mitglied der Wiener Philharmoniker ist weiblich. Das war 1997 so, und
das ist auch heute so. Der Grüne Kultursprecher Wolfgang Zinggl kritisierte
diesen Umstand am Montag Vormittag bei einer Pressekonferenz in Wien scharf:
"Wann ist endlich Schluss mit der Diskriminierung von Frauen, kann sich
Österreich das noch länger leisten?" Die Philharmoniker weisen den
Vorwurf zurück. "Ich verstehe diese Pseudo-Aufregung nicht", so
Philharmoniker-Sprecher Michael Bladerer, "bei uns haben Frauen wie Männer
gleiche Chancen." Unter
Durchschnitt 1997
gab es den Beschluss, künftig auch Frauen in das als privater Verein geführte
Orchester aufzunehmen. Die Harfenistin Anna Lelkes wurde damals als erste
Philharmonikerin aufgenommen. "Dieser Beschluss ist fast zehn Jahre alt,
und die Bilanz ist eher traurig", so Zinggl heute, "Es gibt mit
Charlotte Balzereit weiterhin nur eine Frau im Orchester, wieder eine
Harfenistin." Der Frauenanteil liege daher nach wie vor eklatant unter
dem Durchschnitt vergleichbarer internationaler Orchester, der laut einer
Untersuchung des Vorjahres bei über 25 Prozent liege und weiter angestiegen
sei. "Es gibt hier weltweite Bemühungen." Nur die Wiener
Philharmoniker hinkten hier nach: "Die Statistik spricht eine klare
Sprache." Schwere
Probezeit für Frauen Seit
1997 hätten sechs Frauen das hinter einem geschlossenen Vorhang stattfindende
Probespiel für das Staatsopernorchester bestanden, erzählte Zinggl. Nach
einem Probejahr wird darüber entschieden, ob der/die jeweilige MusikerIn im
Orchester verbleibt. Nach drei Jahren kann der Antrag auf Aufnahme in den
Verein Wiener Philharmoniker gestellt werden. "Zwei Frauen haben ihr
Probejahr nicht überstanden", so Zinggl, der darauf verweist, dass zur
gleichen Zeit von über 30 Männern fast alle die Probezeit bestanden hätten.
Drei Musikerinnen - die Geigerin Isabelle Caillieret, die Bratschistin Ursula
Plaichinger und die Cellistin Ursula Wex - sind derzeit als Mitglieder des
Staatsopernorchesters Anwärterinnen auf eine Philharmoniker-Stelle, eine
weitere Geigerin, Iva Nikolova, wurde im Juni nach dem Probejahr von der
orchestereigenen Jury abgelehnt. "Wo immer Männer über Frauen abstimmen, haben es die Frauen besonders schwer", sagte Zinggl und verwies auf Schweizer Beispiele. "Es gibt offenbar nach wie vor einen Teil der Musiker, bei dem es Frauenfeindlichkeit gibt. Welche Strukturen müssen da entwickelt werden, um dem entgegenzuwirken?" Als Beispiel einer misslungenen Anti-Diskriminierungspolitik nannte Zinggl die vor einem Jahr erfolgte Berufung von Werner Resel, der seinerzeit mit diskriminierenden Äußerungen aufgefallen und 1997 als Philharmoniker-Vorstand zurückgetreten sei, auf die neu geschaffene Position eines Orchesterdirektors des Staatsopernorchesters. "Das nenne ich den Bock zum Gärtner machen", so Zinggl, "denn das ist das Nadelöhr, durch das alle durchmüssen, bevor sie Wiener Philharmoniker werden können."
Ablehnung von Iva Nikolova Auch die Umstände der Ablehnung der
Geigerin Iva Nikolova hält Wolfgang Zinggl für bedenkenswert. Ihre Ablehnung
nach dem Probejahr habe zu einer Diskussion unter Mitgliedern ihrer Gruppe geführt.
Ein offener Brief eines Musikerkollegen, der um eine neuerliche Probezeit für
die Kollegin bat, sei von der überwiegenden Mehrheit der Gruppenmitglieder
unterzeichnet worden, doch habe Resel sich weitere Diskussionen darüber
verbeten. Obendrein sei, neben weiteren Ungereimtheiten, die Probespielordnung
daraufhin so geändert worden, dass sie sich erst nach Ablauf von drei Jahren
neuerlich bewerben dürfe - für Zinggl "ein klassischer Fall von
Anlassgesetzgebung." Probespielordnung
Die
Betriebsräte des Staatsopernorchesters weisen diesen Vorwurf scharf zurück.
Laut Gottfried Martin musste der Kollektivvertrag komplett durchforstet werden,
um EU-Beschlüssen und -Richtlinien ebenso zu entsprechen wie dem
Bundesgleichbehandlungsgesetz und neuen Erkenntnissen des OGH. Die
Probespielordnung sei Teil des Kollektivvertrages, und nachdem alleine im
Dezember sechs Probespiele für das Staatsopernorchester angesetzt seien, habe
man die neue Probespielordnung mit 7. November in Kraft gesetzt, um nicht
Gefahr zu laufen, geklagt zu werden. Gewerkschafter und
Philharmoniker-Mitglied Martin: "Anlassgesetzgebung ist das beim besten
Willen nicht! Und verklausuliert stand dies ohnedies bereits drinnen." Bei
den Philharmonikern verweist man darauf, dass von den zwei Geigerinnen, die
gleichzeitig ihre Probezeit absolvierten, mit Caillieret eine ihre Abstimmung
einstimmig gewonnen habe. Nikolova sei dagegen abgelehnt worden. "Das war
alles transparent und ein klares Votum", so Michael Bladerer, von Mobbing
könne keine Rede sein. Rund 70 Prozent der Abgänger heimischer Musikunis
seien weiblich, hieß es von den Grünen. Beim Probespiel für das
Staatsopernorchester seien je nach Instrument bis zu 30, 35 Prozent der
antretenden MusikerInnen Frauen, so Bladerer, der sich gegen "Erbsenzählerei"
wendet: "Wenn davon keine übrig bleibt, ist das sicher keine Bösartigkeit.
Diskriminierung ist bei uns kein Thema mehr!" "Wir
halten uns ganz genau an die Richtlinien, die wir mit der Staatsoper
vereinbart haben", versichert auch Philharmoniker-Vorstand Clemens
Hellsberg. "Die Probespiele müssen gewonnen werden und man muss über
die Probezeit kommen." Dass ein Männerverein den Frauen eben in dieser
Zeit zu verstehen geben könne, dass man lieber unter sich bliebe, ist für
Hellsberg theoretisch vorstellbar: "Aber ich versichere Ihnen, dass dem
nicht so ist." Allerdings lege er auch großen Wert darauf, dass niemand
aus nicht-künstlerischen Gründen engagiert würde, sagt Hellsberg. Deswegen
könne man auch beim besten Willen nicht sagen, wann die Wiener Philharmoniker
einen ähnlichen Frauenanteil wie andere Orchester erreichen würden: "Jeder
Gedanke an Quote geht am Wesen der Kunst vorbei." >>>Chronologie:
Frauen bei den Wiener Philharmonikern Chronologie Frauen
bei den Wiener Philharmonikern Seit
1997 Bekenntnis zu "Chancengleichheit ohne Geschlechterdiskriminierung"
- Aktuelle Frauenquote bei 0,86 Prozent - Einzige Philharmonikerin ist
Harfenistin Balzereit Wien
(APA) - Nach massiven internationalen Protesten und nachdrücklichen Appellen
österreichischer Politiker entschieden sich die Wiener Philharmoniker im
Februar 1997, mit ihrer gut 150 Jahre alten Tradition als "Männerverein"
zu brechen und erstmals Frauen als Mitglieder zuzulassen. Damals wurde die
Harfenistin Anna Lelkes als erste Philharmonikerin aufgenommen. Mit der
Harfenistin Charlotte Balzereit gibt es derzeit nach wie vor eine einzige
aktive Philharmonikerin. Eine Chronologie: November
1994: Die "Arbeitsgruppe Frauenrechte Menschenrechte" fordert in
einem offenen Brief die Wiener Philharmoniker zu einer Erklärung für das
Nichtvorhandensein von Frauen im Orchester auf. August
1995: Die Orchesterleitung unter Werner Resel führt sozial- und
arbeitsrechtliche Probleme als Begründung dafür an, warum auch zukünftig
weiblichen Mitgliedern der Zutritt zum "Männerverein"
Philharmoniker auf unbestimmte Zukunft verwehrt bleibt. Frauen im Orchester würden
die künstlerisch vertretbare Personal-Limitierung überschreiten. Grüne und
Liberale reagieren mit Kritik und entsprechenden "Hilfsangeboten". Juli
1996: Laut Kunstminister Rudolf Scholten prüfe sein Ressort die Möglichkeit
für Frauen, im Rahmen des Bundes-Gleichstellungsgesetzes in das Orchester
aufgenommen zu werden. Zudem wird über eine mögliche Subventionskürzung bei
Mitgliedschaftsverweigerung für Musikerinnen gesprochen. Verschiedene
politische Parteien begrüßen den Vorstoß. Die Philharmoniker verzichten ein
Jahr darauf freiwillig auf die staatliche Unterstützung von jährlich 2,5
Millionen Schilling. 27.
Februar 1997: Die Harfenistin Anna Lelkes, zu diesem Zeitpunkt bereits 26
Jahre im Dienst des Orchesters, wird als erste Frau bei den Philharmoniker
aufgenommen. Der Entscheidung, sich offiziell zur "Chancengleichheit ohne
Geschlechterdiskriminerung" auszusprechen, waren neben massivem Druck
heimischer Politiker (u.a. des Bundeskanzlers Viktor Klima) auch
internationale Proteste und Boykottaufrufe einflussreicher amerikanischer
Frauenverbände wie der "International Alliance for Women in Music"
vorausgegangen. Auch nach dem Umdenken der Leitung erheben Verbände der USA
weiterhin Vorwürfe gegen das Orchester und bewerten die Frauenklausel als bloßen
"Beschwichtigungsversuch". 2.
April 1997: Philharmoniker-Vorstand Werner Resel tritt "aus persönlichen
Gründen" zurück. Er hatte sich in letzter Zeit eher gegen eine Öffnung
des Vereins für Frauen ausgesprochen und kurzfristig sogar mit dessen Auflösung
gedroht, war zuletzt aber in den eigenen Reihen unter Druck geraten.
Nachfolger wird Clemens Hellsberg, bisheriger Stellvertreter Resels, der
"Versäumnisse" bei der Aufnahme weiblicher Mitglieder einräumt. März
1998: Nach einem New Yorker Gastspiel in der Carnegie Hall stehen die
Philharmoniker erneut unter Beschuss: Die LA-Times zitiert eine Reihe von
Kritikern, darunter ein Statement der "National Organization for
Women", wonach das Orchester weiterhin eine "rassistische und
frauenfeindliche Philosophie" vertrete. 12.
Februar 1999: Die Harfenistin Julie Palloc gewinnt das Probespiel für das
Staatsopernorchester, dem sämtliche Mitglieder der Philharmoniker angehören.
Ein anschließendes erfolgreiches Probejahr ebendort ist Voraussetzung für
eine spätere Aufnahme in den Verein der Philharmoniker. Palloc wird vor Ende
der Probezeit gekündigt und trotz gegenteiliger Mehrheitsbestimmung ihrer
Kollegen zu keinem weiteren Probespiel zugelassen. 14.
Februar 2001: Die Bratschistin Ursula Plaichinger geht als Siegerin des
Probespiels hervor und wird ein Jahr darauf fixes Mitglied des
Staatsopernorchesters. Die Musikerin hat bisher keinen Antrag auf die
Mitgliedschaft gestellt. September
2001: Charlotte Balzereit qualifiziert sich für ein Engagement an der
Staatsoper und wird später von den Philharmonikern für die freie Stelle als
Harfenistin der mittlerweile pensionierten Anna Lelkes engagiert. Balzereit
ist derzeit das einzige weibliche Mitglied der Philharmoniker. März
2003: In den USA wird das "ultra-konservative" Orchester während
einer Tournee erneut wegen seiner Vergangenheit in Geschlechterfragen
angegriffen. Drei Monate später titelt die New
York Times, Wiener
Philharmonikerinnen seien ein seltener Anblick und kritisiert die äußerst
niedrige Frauenquote des "old boys network" (zwei Prozent) im
Vergleich zu anderen Formationen wie der New Yorker Philharmonie (40 Prozent). Dezember
2006: Die Frauenquote der Wiener Philharmoniker liegt bei 0,86 Prozent. Drei
Musikerinnen sind Mitglied des Staatsopernorchesters. Der Grüne
Kultursprecher Wolfgang Zinggl stellt auf einer Pressekonferenz die Frage
"Wann ist endlich Schluss mit der Diskriminierung?" "Wir halten
uns ganz genau an die Richtlinien", entgegnet Philharmoniker-Vorstand
Clemens Hellsberg. "Jeder Gedanke an Quote geht am Wesen der Kunst vorbei."
(APA)
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