„We’ll
sing from our Hearts“ Renate
Brosch im Gespräch mit der Posaunistin Abbie Conant und dem Komponistin
William Osborne über Gleichberechtigung, Feminismus, über Göttin und die
Welt Veroffentlich
in VivaVoce (Sommer 2000.) VIVAVOCE: Frau
Conant, Ihr Vortrag über den Status
von Frauen in deutschen Orchestern, den Sie vor zwei Jahren bei einem
Hearing des Ministeriums für Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes
NRW zur Situation von Frauen in der E-Musik gehalten haben und den wir in
VIVAVOCE 48/98 publiziert haben, hat innerhalb der DOV einen gewissen Unmut
erregt. Man sagte, das vorgelegte Zahlenmaterial sei falsch, da aus dem Jahre
1994 und mittlerweile völlig veraltet. Da sehr viele junge
Instrumentalistinnen mittlerweile ausgebildet würden, die bald die Orchester
bevölkern würden, könne von einer Benachteiligung der Frauen in deutschen
Orchestern keine Rede mehr sein. Wie stehen Sie dazu? CONANT: Ich
bin mir nicht sicher, ob das DOV-Magazin „Das Orchester“ eine zuverlässige
Quelle für Informationen über den Status von Frauen in Orchestern ist. Diese
Ensembles hatten lange Zeit ein Image-Problem, was Frauen anbelangt, und so
konzentrieren sich die Berichte des DOV mehr auf den PR-Aspekt und weniger auf
den soziologischen und analytischen Aspekt des vorgelegten Zahlenmaterials.
Der DOV-Artikel führt an, daß mittlerweile 26% der OrchestermusikerInnen
Frauen seien, sie hätten 22% aller Führungspositionen in den Streichern und
15% innerhalb der Bläser. Aufgrund dieser Zahlen kommt der Autor zu dem Schluß
„Im Beruf der Orchestermusiker besteht zwischen Frauen und Männern absolute
Chancengleichheit.“ Ich halte diese Feststellung für eine grobe
Vereinfachung eines ziemlich komplexen Problems. Auch wenn der Frauenanteil in
deutschen Orchestern schon bei 26%
angelangt ist, fehlen dabei internationale Vergleichszahlen. Der
Artikel führt weiterhin an, in deutschen Orchestern seien 2 Solo-Posaunen-Stellen
mit Frauen besetzt und 26 Stellvertreterinnen. Als Posaunistin kenne ich die
Szene ziemlich gut, und es würde mich interessieren, in welchen Orchestern
diese 26 stellvertretenden Solo-Posaunistin denn auftauchen. Meinem Ermessen
nach sind es höchsten ein Drittel so viel. In
den Analysen professioneller Soziologen wie Prof. Jutta Allmendinger (Universität
München) und Prof. Richard Hackmann (Harvard University), die ich in meiner
Untersuchung verwendet habe, ergeben sich ganz andere Fragestellungen. Eine
Studie von Allmendinger und Hackmann, die im Dezember 1995 veröffentlicht
wurde, kam zu dem Ergebnis, daß der Frauenanteil in kleineren Orchestern 21%
betrug und 13% in führenden Orchestern. Der DOV informiert darüber, wieviele
Frauen im Vergleich zu Männern bei Probespielen genommen wurden. Die Zahlen
sagen jedoch nichts darüber aus, in welchen
Orchestern diese Frauen eingestellt wurden, wobei anzunehmen ist, daß der
Frauenanteil in schlechter bezahlten Orchestern sicherlich höher ist. Das ist
noch lange nicht Chancengleichheit.
Die Untersuchung basiert auf Zahlenmaterial, daß von 33% der Orchester zur
Verfügung gestellt wurde. Es werden natürlich eher die Orchester antworten,
die mit einem höheren Frauenanteil aufwarten können. Vieles
hängt natürlich auch mit der Attraktivität der einzelnen Orchester zusammen.
Gelsenkirchen wirbt zum mit dem Satz „Wir bieten jeder eine Chance“ als
Logo über seinen Stellenanzeigen für OrchestermusikerInnen. Man stelle sich
das mal bei den Berliner Philharmonikern vor als einem Orchester mit hohem
Status und einem verschwindend geringen Frauenanteil. Der
DOV erwähnt auch nicht, daß Frauen in den Orchestervorständen immer noch so
gut wie nicht vertreten sind, und es wäre noch zu fragen, wieviele Frauen in
der höheren Verwaltungsebene des DOV präsent sind. Es gibt immer noch keine
einzige weibliche Generalmusikdirektorin und erst eine 1. Kapellmeisterin (siehe
Interview mit Catherine Rückwardt in Crescendo
vom April 1999 „Die Jungs teilen den Kuchen unter sich auf“, <http://www.crescendo-online.de/html/de/archiv/99Cres2/leseprobe.html>.
Eine Antwort auf die zentralen Fragen in meinem Artikel über die Situation
von Frauen in Orchestern von seiten des DOV steht noch immer aus. VIVAVOCE: Es
hält sich sehr nachhaltig noch die Meinung, es gäbe deswegen so wenig
Trompeterinnen, Posaunistin, Tubistinnen, da den Frau im allgemeinen dafür
die Kraft fehle. Als Argument wird ins Feld geführt, Frauen würden sich
vielmehr der Flöte zuwenden, was zahlenmäßig bestätigt wird. Was sagen Sie
als professionelle Posaunistin dazu? CONANT: Es
tut mir leid, es ständig wiederholen zu müssen: ich finde es einfach
sexistisch zu verallgemeinern, daß Frauen die Kraft fehle, die Posaune in
einem professionellen Sinfonie-Orchester zu spielen. Das ist etwas, was ich im
Sinne meine Studentinnen vertreten muß. Wir leben schließlich im Jahr
2000! Ich
möchte noch einmal betonen, daß ich mich diesbezüglich nicht mehr in der
Defensive befinde. Ich habe meinen Arbeitsprozeß gegen die Münchner
Philharmoniker und gegen die Stadt München gewonnen.
Im Zusammenhang mit diesem (11-jährigen!!!) Prozeß mußte ich mich in
der Gautiner Lungenklinik einem intensiven Atemtest unterwerfen. Ich mußte
durch verschiedene Tuben blasen, damit meine Atemkapazität
und -kraft gemessen werden konnte. Ich mußte mich ausziehen, damit man
meinen Brustkorb untersuchen konnte. Ich mußte sogar in einer luftdicht
abgeschlossenen Kabine in Tuben hineinblasen, während mir Blut von meinem
Ohrläppchen abgenommen wurde, um zu messen, ob es auch sauerstoffhaltig genug
war. Trotz „absoluter Chancengleichheit“ wurde meinen Kollegen keine
Gelegenheit gegeben, sich einem solch großartigen Experiment zu unterziehen. Die
Beherrschung eines Instruments ist eine Sache des richtigen Trainings und
nicht eine Angelegenheit von roher Kraft. Ich denke aber, daß das von allen
wirklich bedeutenden Lehrern bestätigt wird. Vielleicht gibt es andere Gründe
dafür, als Frau diese Instrumentengruppen zu meiden. Die Streicher und Holzbläser
der Münchner Philharmoniker sprachen von der Blechfraktion als der „Baustelle“,
was sich auf die rohe, machohafte Biertrinker-Atmosphäre dieser
Instrumentengruppe bezog. Das entspricht sicherlich dem allgemeinen
Orchesteralltag und erschwert Frauen den Zugang. Auch wenn man sich an das
frostige Klima gewöhnt, ist die grundsätzliche Einstellung der Musik gegenüber
zuweilen unerträglich. Aber
ich denke, der allgemeine Fortgang der Geschichte wird patriarchale
Traditionen in den Orchestern auflösen. Deutschland ist das
führende Land, was Orchesterkultur anbelangt, und gerade deutsche
Musikerinnen und Musiker könnten am ehesten dazu beitragen, die
Transformation zu einer humaneren und zeitgemäßeren Umgangsform zu
bewerkstelligen. Emanzipation der Geschlechter ist eine Frage der Erziehung.
Wissen bringt Licht ins Dunkel, und Bewußtheit bringt Wandlung. VIVAVOCE: Sie
haben eine C4-Professur für Posaune an der Musikhochschule Trossingen inne.
Was sind Ihre Erfahrungen als Pädagogin? Dazu
muß ich erst eine ganz grundsätzliche Geschichte erzählen. Einer Verwandten
zuliebe verbrachte ich kürzlich zwei Wochen als Gastsolistin bei der
Southeastern Iowa Symphony, was auch die Arbeit mit Kindern aus öffentlichen
Schulen mit einschloß. In den Klassen mit jüngern Kindern fragte ich, ob
jemand mal auf meiner Posaune spielen wolle. Das erregte großes Aufsehen
unter den Kindern, und so veranstaltete ich einen Wettbewerb. Wer am höchsten
und wildesten hochspringen konnte, dürfe auf meiner Posaune spielen. Natürlich
brach ein Höllenlärm aus, und interessanterweise gewann ein Mädchen. Die
Buben sahen eine Frau mit einer Posaune und wußten nicht, ob das überhaupt
ein Instrument für Jungs war. Wenn sie überhaupt aufstanden, um zu springen,
waren sie grundsätzlich schüchterner und gehemmter als die Mädchen. Der
Unterschied war ganz deutlich zu sehen. Einige der Jungs blieben sogar ausdrücklich
sitzen. Es war eine klare Demonstration dafür, wie Rollenmodelle auf einmal
kippen können, was ich so nicht erwartet hatte. Wenn
die Mädchen in die Pubertät kommen, polarisieren sich die Geschlechterrollen.
Da es immer noch als undamenhaft gilt, Blechblasinstrumente zu spielen, hören
manche durchaus fortgeschrittene Spielerinnen irgendwann auf. Die Lehrerinnen
und Lehrer sollten sich dieses Problems bewußt sein und dagegen arbeiten,
aber oft haben sie dieselben Vorurteile. Ein Kollege brachte mir eine Mädchen,
das auf der Posaune so fortgeschritten war, daß ich sie als Vorschülerin an
der Musikhochschule Trossingen aufnahm. Beim Landeswettbewerb „Jugend
Musiziert“ in Bayern wurde sie zwar als die beste Spielerin von der Jury
anerkannt, aber nicht mit dem ersten Preis bedacht, da sie als Mädchen nicht
„ausbaufähig“ sei. Leider war ich nicht anwesend. VIVAVOCE: Sie
haben beide ein Forschungssemester in den USA verbracht, verbunden mit einer
ausgiebigen Tournee ihrer Musiktheater-Formation „The Wasteland Company“.
Was können Sie darüber berichten? OSBORNE: Wir
begannen mit einer Unterrichtsvertretung für die Komponistin Pauline Oliveros
am Mills College in Oakland, wohin wir als „artists-in-residence“ für fünf
Monate eingeladen waren. Wir arbeiteten auch am Center for New Music und Audio
Technology (CNMAT) an der Universität Kalifornien, Berkley und am Cal Arts
bei Los Angeles. Wir verbrachten dann einen Monat in Manhatten, wo wir uns mit
der Komponistin Elisabeth Hoffman an der New York University austauschten. Es
waren durchweg Hochschulen mit hervorragenden Neue-Musik-Abteilungen, was
Computer- und elektronische Musik betrifft. Wir arbeiteten zusammen mit vielen
KomponistInnen an diesen Hochschulen und hatten viele Konzerte, hauptsächliche
mit Werken für Computer und Posaune, u. a. unsere Musiktheaterprojekte, die
wir in den vergangenen sechs
Jahren in 96 Städten aufgeführt haben (hauptsächlich in Nordamerika).
Zum Schluß unseres USA-Aufenthalts hatten wir eine Tournee durch den
Mittelwesten, die mit Aufführungen und Workshops in Chicago endeten. CONANT: Dieses
Forschungssemester war hauptsächlich meinem „sabbatical project for the
millenium“ mit dem Titel THE
WIRED GODDESS AND HER TROMBONE (die verkabelte Göttin und ihre Posaune)
gewidmet, d.h.wir arbeiteten an einem Repertoire für solo Posaune und
Elektronik, das von StudentInnen ausgeführt werden kann, von der Idee her ein
bißchen wie Hindemiths Gebrauchsmusik. Oft
sind Werke einfach zu schwierig, werden dann einmal aufgeführt und
verschwinden in der Schublade. Mit diesem Projekt wollen wir Repertoirestücke
schaffen, die hängen bleiben, auch wenn die Technologie weitermarschiert. Es
ist eine CD mit einer Auswahl dieser Stücke in Planung, sowie Publikation der
Noten und des Aufführungsmaterials, das weltweit erhältlich sein soll. Ich
sammle immer noch Werke und lade KomponistInnen ein, an diesem Projekt
teilzunehmen Thematisch
kreisen diese Werke um das Thema der Rückkehr der Göttin, des Femininen in
uns allen. Mögliche Ausgangspunkte schließen die vergangenen und zukünftigen
Aspekte dieser Göttinnen ein. Bis jetzt sind 27 Werke schon geschrieben oder
in Arbeit, von denen 9 schon aufgeführt wurden. Sechzehn dieser Werke wurden
von Frauen komponiert, elf von Männern, u. a. von Pauline Oliveros, David
Jaffe, Elizabeth Hoffman, Maggie Payne, Christ Browne. Wenn möglich stehe ich
in regem Kontakt mit den KomponistInnen während der Entstehung der Werke, was
ein besonders Charakteristikum dieses Projekts ist. VIVAVOCE: Wie
kann man den aktuellen Stand der „Gender Studies“ in den USA im Vergleich
zu Deutschland beschreiben? Was
sind die aktuellen Themen? OSBORNE: Das
ist schwer zu beantworten. Gender Studies gibt es in den USA schon etwas länger
als in Europa, und sie sind deswegen dort schon etwas etablierter. Die
Struktur der amerikanischen Universitäten ist vielleicht etwas flexibler als
in Europa, was es leichter macht, neue Forschungszweige zu etablieren. Das
erklärt vielleicht, warum viele amerikanische Hochschulen personell voll
ausgestattete „Women Studies Departments“ mit eigenen Fakultäten und
Verwaltungen haben und auch Abschlüsse in „Women Studies“ ermöglichen.
Das ist in Deutschland kaum der Fall, wo Gender Studies eher interdisziplinär
und ohne eigenen Hochschulabschluß angeboten werden. Es gibt außerdem drei
Mal so viel Professorinnen als in Deutschland, wo diese mit weniger als 10%
vertreten sind. Soziologische Studien haben ergeben, daß Gruppenidentitäten
und Lobby-Arbeit erst über der 10%-Grenze überhaupt entstehen können. Da
jedoch Gender Studies noch ein relativ neuer Zweig der Wissenschaft sind,
lassen sich überhaupt noch keine klaren Trends erkennen. Vielleicht ist der
amerikanische Ansatz radikaler, zuweilen mit äußerst spekulativen und
provokativen Elementen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Susan McClarys
Lesart der Neunten Sinfonie von Beethoven als Metapher für Vergewaltigung.
Solche spekulativen Sichtweisen setzen sich in Deutschland weniger durch. Außerdem
ist die amerikanische Forschungslandschaft eher post-modern in Theorie und Ästhetik.
Das erklärt vielleicht, warum die Grenzen zwischen U- und E-Musik fließender
sind und der Kanon der Literatur- und Musikwissenschaft weniger streng
gehandhabt wird. Einer der Hauptunterschiede zwischen Deutschland und den USA
sind die „gay and lesbian studies“, ein zentraler Bestandteil der
amerikanischen Gender Studies, die
in Deutschland jedoch weniger verbreitet sind. Wie gesagt, das ist schwer zu
verallgemeinern, weil beide Seiten in engem Kontakt miteinander stehen und
auch voneinander lernen. Der eher konservative deutsche Ansatz wird von
manchen als Ausdruck der streng patriarchalen Tradition der deutschen
Musikwissenschaft betrachtet; andere wiederum sehen ihn als Ausdruck strenger
akademischer Standards und als Garant für Professionalität. Einer
der großen Vorzüge Deutschlands gegenüber den USA ist, daß die Künste in
ganz anderer Weise unterstützt werden, denn eine ernsthafte Beschäftigung
mit der Kultur ist ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Gesellschaft, während
sie in den USA oft innerhalb der Universitäten ghettoisiert wird. Außerhalb
der großen Städte verwalten die Universitäten die Museen und öffentlichen
Konzerthäuser, und die meisten Aufführungen klassischer Musik werden von
Vertretern dieser Institutionen dargeboten. Aus diesem Grunde sind
Institutionen wie die IAWM vielmehr in einen akademischen Kontext eingebunden
als der Internationale Arbeitskreis Frau und Musik in Deutschland, der fast
keine direkte Anbindung an universitäre Einrichtungen hat und mit seinem
Archiv, seinen Konzertveranstaltungen und seiner Zeitschrift Bestandteil des
unabhängigen, freien innerstädtischen Kulturlebens ist. VIVAVOCE: Der
Arbeitskreis Frau und Musik hat auf der letzten Mitgliederversammlung seine
Satzung dahingehend geändert, daß Männer nun auch im Vorstand mitarbeiten dürfen.
Welche Auswirkungen hat Ihrer Meinung nach die männliche Beteiligung an
feministischen Fragestellungen? OSBORNE: Die
Anfangsphasen des Feminismus, in denen Frauen für ihre Identitätsfindung des
Ausschluß der Männer brauchten, sind aus vielerlei Gründen vorbei. Die
Frauen haben entdeckt, daß Männer treue, engagierte und politisch effektive
Verbündete sein können, während es Frauen gibt - oft selbsternannte
Feministinnen - die den Feminismus bis zur Unkenntlichkeit trivialisiert und
verzerrt haben, besonders in den USA. Gender-Bewußtsein ist nicht eine Frage
des Geschlechts, sondern des Kopfes. Als
Resultat dessen sind Männer mittlerweile ein kleiner aber fester Bestandteil
der feministischen Gemeinschaft in den USA. Um dieses Phänomen herum ist eine
beachtliche Literatur entstanden, wie z. B. Tom Digby’s Anthologie Men
Doing Feminism (Routledge, 1998). Einige Titel der insgesamt 18 Artikel
geben einen Eindruck vom Inhalt der Sammlung: „My Father was a Feminist“,
„Who ist Afraid of Men Doing Feminism?“, „Teaching Women Philosophy as a
Feminist Man“, „Feminism and the Future of Fathering“ usw. Frühere
Arbeiten beinhalten Artikel „Men Against Patriarchy“ von Tori Moi, das vor
elf Jahren veröffentlicht wurde. Werke wie diese führen zu einer ganz
anderen Art der Soziologie und Philosophie über männliche Identität. Die
Umwandlung männlichen Denkens ist sicherlich ein ganz wichtiger Schritt auf
dem Weg hin zu mehr weiblicher Gerechtigkeit. Der
Arbeitskreis Frau und Musik rennt offene Türen ein, wenn er Männern die
Vorstandstätigkeit ermöglicht. Sie können nützliche Arbeitskräfte sein,
auch wenn sie noch schwer zu finden sind. Weitere Geschlechterpolarisierungen
können auch eine Form der Flucht vor der Wirklichkeit sein und wirken auf jüngere
Frauen oft abstoßend, da sie mittlerweile genau wissen, wie sie Macht,
Authorität und Autonomie innerhalb ihrer Organisationen handhaben müssen. VIVAVOCE: Woher
kommt Ihr eigenes Interesse an diesen Themen? Ich
bin auf einer Farm in der Wüste von New Mexico großgeworden und wurde
ziemlich patriarchalisch erzogen. Meine Universitätsstudien begann ich im
Jahre 1969 in den Anfangszeiten des Feminismus. Durch Diskussionen und
Konfrontationen mit meinen Mitstudentinnen habe ich viel gelernt und mit der
Zeit meine Ansichten sehr geändert, auch wenn ich mich nicht mehr an jedes
Detail erinnere. Als Abbie und ich Heiratspläne schmiedeten, war es klar, daß
ich meiner Arbeit als Komponist überall nachgehen konnte, und daß wir uns
dort niederlassen würden, wo sie als Posaunistin Arbeit finden würde. Und so
kamen wir nach Deutschland, obwohl ich gerade ein Stipendium für eine
Doktorarbeit an der Columbia University bekommen hatte. Die
ungeheurliche Weise, in der man Abbie dann bei den Münchner Philharmonikern
behandelt hat, tat das Ihrige. Der Arbeitsprozeß um ihre Stelle als Solo-Posaunistin
dauerte elf Jahre, und während dieser Zeit begann ich mit meiner „feministischen“
Arbeit, da ich die schlechte Behandlung meiner Frau durch einige ignorante Männer
nicht hinnehmen wollte. Wir begannen, Frauenthemen in unseren Musiktheaterstücken
aufzugreifen und Artikel zum Thema zu veröffentlichen. Die Arbeit für Frauen
in der Musik nimmt mittlerweile einen großen Teil meiner Zeit in Anspruch und
schränkt die Zeit ein, die mir zum Komponieren bleibt, aber ich hoffe
weiterhin, beides unter einen Hut zu bekommen. VIVAVOCE: Frauen
bekommen allmählich eine Vergangenheit; an der Gegenwart dürfen Sie auch
immer mehr teilhaben. Zu Beginn des Jahres wurde eine Sendereihe im SWR
vorgestellt, in der die hervorragendsten Geister unserer Zeit sich zu ihren
Zukunftsvisionen äußern sollten. Es war keine Frau dabei. „Das neue
Menschenbild - Zur Konstruktion des Humanen“ war der Titel einer
Podiumsdiskussion am Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe,
und wiederum hatte man keine Frau eingeladen, ein Tatbestand, dem immerhin
einem aufmerksamen Rezensenten der Stuttgarter Nachrichten nicht entgangen war
(Stuttgart Nachrichten, 5. Mai, Peter Kümmel). Dieser Rezensent konstatierte
bei dieser Diskussion „die gewisse Traurigkeit von Männern, die bei ihrer
Arbeit kaum Frauen treffen“. Haben viele Männer immer noch Angst vor der
Weiblichkeit der Zukunft? OSBORNE: Die
Welt der Computer und der Musiktechnologie wie sie vom ZKM und ähnlichen
Einrichtungen vertreten wird, ist ziemlich männlich geprägt. Eine
Weiblichkeit der Zukunft würde eine Umverteilung der Machtverhältnisse
bedeuten, und die männlichen Machtpositionen würden verlorengehen. Im
allgemeinen würde das bedeuten, eine Zivilisation zu schaffen, die sich nicht
an der hochtechnisierten, phallozentrierten Ausbeutung beteiligt, die dabei
ist, unseren Planeten zu zerstören. Als „Lebensspenderinnen“ haben es
Frauen gar nicht nötig, das „Humane zu konstruieren“. Es ist kein Wunder,
daß man keine Frauen einlädt. Wenn
man Komponisten wie z. B. Stockhausen, Boulez u. a. beobachtet, wie sie ihre
Werkaufführungen von ihren Mischpulten aus steuern, wie sie menschliche Klänge
ändern und formen, die dann zu ihren Instrumenten werden, so kann man
unschwer erkennen, daß die „Herren der Technologie“ die neuen Maestros
geworden sind. Das Humane wird instrumentalisiert, vielleicht auf ähnliche
Weise wie der Dirigent das Orchester seiner absoluten Authorität unterwirft.
Wenn wir nicht aufpassen, haben wir dasselbe autoritäre System, wenn
menschliche Wesen mit Computern verkabelt werden. Es gibt humane und inhumane
Arten, interaktive Elektronik in der Musik zu verwenden. VIVAVOCE: Sie
beide leben in Ihrer gemeinsamen künstlerischen Arbeit schon den Idealzustand
einer Zusammenarbeit zwischen Mann und Frau. Aus dieser gemeinsamen Arbeit
heraus ist das Musiktheater-Projekt „The Wasteland Company“ entstanden.
Was ist „The Wasteland Company“ und was ihre Zielsetzungen? CONANT: Wir
gründeten 1981 „The
Wasteland Company“, um eine Art von Kammer-Musiktheater zu entwickeln.
Bis jetzt hat William vier abendfüllende Produktionen vertont, die für mich
sozusagen „one woman shows“ sind, quasi eine Kombination von Schauspiel,
Singen und Posaunenspiel. Unser Ziel ist es, über Oper hinauszugehen und eine
einfache, direkte Form von Musiktheater auf die Beine zu stellen, die Musik,
Text und Schauspiel zu einer Einheit verschmilzt und zeitgemäße Themen
aufgreift. Unser Hauptthema ist das kreative Schaffen von Frauen. VIVAVOCE: Herr
Osborne, Sie haben sowohl die Texte als auch die Musik zu „Miriam“ und
„The Last Mad Soprano“ geschrieben. Beide Stücke haben die weibliche „Verrücktheit“
zum Thema: Miriam,
eine in einer Nervenklinik lebende Frau, versucht einen Text zu schreiben, den
sie ihren Kindern vorsingen will. In ihrer Isolation hat sie allerlei
Halluzinationen, Identitätskrisen und Sprachschwierigkeiten. Die
Hauptdarstellerin in „The Last Mad Soprano“ ist eine Sängerin, die sich
auf ein Vorsingen vorbereitet und dabei die Entfremdung zwischen sich und der
zu singenden Musik immer mehr wahrnimmt, bis sich wie in einem inneren Prozeß
ihre eigenen Geschichten herausschälen und sie ihre Verrücktheit überwinden
kann. Wie sind diese Stücke entstanden? OSBORNE: Beide
Stücke entstanden aus der schwierigen Situation heraus, in der wir in München
lebten, ein Kampf ums Überleben in einer feindseligen, patriarchalen Atmosphäre,
einer Form „konzentrischer Aggression“, die uns von allen Seiten
entgegengebracht wurde, nur weil wir uns einem populären, quasi vergötterten
Guru - Celibidache - widersetzten. In
„Miriam“
zeigen wir eine Frau, die gegen degradierende, existentielle Opposition
zur Wehr setzt, indem sie die Zusammenhänge zwischen Sprache, Identität,
Kreativität und Gesellschaft untersucht. Sie beginnt allmählich zu begreifen,
daß ihre kreative Identität gewaltsam unterdrückt worden ist; sogar ihre
eigene Sprache erscheint ihr korrupt und fremd. Sie verfällt immer mehr ins
Schweigen und endet damit, die Worte „I love you“ stumm hinauszuschreien.
Nur die Subjektivität ihres sprachlosen Instruments kann ihre tiefsten Gefühle
zum Ausdruck bringen. Miriams
Suche vermittelt eine Idee davon, daß die Menschheit ihre feminine Seite
unterdrückt hat, daß sie viele Ikonen, Archetypen und Kommunikationsformen
verloren hat, die für ihr Wohlergehen wichtig sind. Kreative Identität ist
eine wichtige Voraussetzung menschlicher Würde, und Menschen, die diese
Freiheit leugnen, bekommen existentielle, spirituelle und psychologische
Probleme. Das betrifft häufig Frauen, aber wir konnten feststellen, daß das
Werk auch andere Menschen anrührt, die ähnliche Probleme hatten, z. B.
Menschen aus dem ehemaligen Ostblock. Miriam erfährt eine innere Krise, aber
sie widersetzt sich dem Schicksal, eine weitere „Verrückte aus einer Oper“
zu werden, weil sie bewußt ihre stereotypen Rollen, Masken und ihre Persona,
die man ihr übergestülpt hat, konfrontiert. VIVAVOCE: Die
Sopranistin wird oft als Beispiel ewig-weiblicher Präsenz auf der Bühne ins
Feld geführt. Sie war zwar einst eine machtvolle Figur als „Primadonna“,
ist aber heute nur noch eine möglichst perfekt funktionierende Marionette,
deren ganze Intelligenz daraufhin geschult wird, ihre Perfektion zu
bewerkstelligen und die Intentionen von musikalischer Leitung und Regie möglichst
akribisch in Szene zu setzen. Das geht wohl heute allen Sängern so, aber die
Sopranistin sitzt zudem noch auf ihren - immer noch ungelösten Hysterie- und
Wahnsinnsproblemen. „The
Last Mad Soprano“ findet am Schluß zurück zu ihrer geistigen
Gesundheit. Wie passiert das? CONANT: Street
Scene for the Last Mad Soprano befaßt sich mit der Idee, daß kulturelle Identität eine Überlebensnotwendigkeit
ist, eine Art, unsere menschlichen Grundbedürfnisse zu erfassen. In diesem Stück
entlarven wir die stereotype Art, mit der Frauen in der Oper porträtiert
werden, besonders was ihre Art zu leiden betrifft. Es
ist wohlbekannt, daß weibliche Charaktere in der Oper mißbraucht oder getötet
oder zu einfältigen Näherinnen stilisiert werden. Heldinnen opfern sich zum
Wohle eines heroischen Mannes. Diese Frauenbilder gießen sich in bestimmte
Formen, die sich so eindringlich wie Werbesprüche in unseren Köpfen
festsetzen. Man weiß, daß Opernsängerinnen ihre Rollen nicht einfach
darbieten können. Sie müssen sie leben.
Das ist eine weitere Erniedrigung, und wie in einem inneren
Erkenntnisprozeß rebelliert „the Mad Soprano“. Und anstatt daß wir
zusehen, wie eine weitere Frau verrückt wird, erleben wir, wie sie gesundet
und zu ihren eigenen Geschichten findet: „Tomorrow
night the lights will rise, floating by themselves in Love’s Order. And far
from this corner on the street, we’ll sing from our hearts. You and I.
We’ll sing from our hearts. You and I. You and I“. VIVAVOCE: Wie
kamen Sie zum ihrem Namen „The Wasteland Company“? CONANT: Wenn
die patriarchale Kultur allmählich ihren Geist aufgibt, tut sich ein Abgrund
des Schweigens auf, ein kulturelles Ödland, in dem nur die reine Isolation
herrscht mit einem Horizont, der so ungeheuer weit und flach ist, daß man
sich nicht mehr orientieren kann. Vielleicht werden sich in diesem
existentiellen Ödland viele wahrhaftig kreative Frauen allmählich ihre Welt
aufbauen. Das ist das Dilemma der verrückten Sopranistin in dem Moment, als
sie ihre Opernrollen hinter sich läßt und beginnt, auf der Straße zu leben.
In gewisser Weise liegt es in der Natur genuiner Künstler, heimatlos zu
werden. Sie sehen die Dinge von außen und haben Visionen von einer Welt, die
nicht existiert. Das Wandern wird zu einem kreativen Porzeß, zu einem Versuch,
im Ödland eine Heimat zu finden, so wie die verrückte Sopranistin versucht,
eine Welt zu finden, in der ihre Rollen nicht mehr erniedrigend sind. Miriam,
The Mad Soprano und The
Wired Godess stellen nur eine Auswahl unserer Versuche dar, neue
Geschichten zu erschaffen oder auch auf den Weg zu bringen. VIVAVOCE: Was
sind Ihre Projekte für die Zukunft? OSBORNE: Es
ist vor allem wichtig, daß Frauen ein wichtiger Teil dieser Zukunft sind. Die
Komponistin Pauline Oliveros zeigt mit ihrem ästhetischen Komzept des „Deep
Listening“ einen möglichen Weg in diese Zukunft auf. Diese Ästhetik
beinhaltet eine wertfreie Form der Wahrnehmung, eine Betonung der
Empathie, die Abschaffung hierarchischen Sozialverhaltens, ein erweiterter
Gebrauch von intuitiven Formen der Bewußtheit, ein neues Verständnis von
Sinnlichkeit und Körper. Das sind Bewußtseinsinhalte, die unserer westlichen
Kultur neue Impulse geben könnten, um eine bessere Balance zwischen femininen
und maskulinen Elementen der menschlichen Identität herzustellen. VIVAVOCE: Vielen
Dank für dieses Gespräch
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