Einundzwanzig Fragen an 

junge MusikerInnen

 

Von Abbie Conant und William Osborne

Übersetzung: Christof Schmidt

 

Viele dieser Fragen sind aus unserer Musiktheaterarbeit heraus entstanden. Sie stellen Vorschläge dar, wie die Beschäftigung mit Literatur und Theater uns und unser Selbstverständnis als darstellende Künstler voranbringen kann.

 

1. Hast du in Konzerten und beim Üben ein Gefühl der Authentizität und der Verantwortung gegenüber der Sache oder arbeitest du nur als hättest du einen musikalischen Fließbandjob?

 

2. Manche Regisseure sind an der „Personalität und der Entwicklung eines Künstlers“ interessiert. Arbeitest du mit solchen Leuten zusammen oder bereitest du dich nur darauf vor, zum ‚Personal’ einer kulturellen Institution zu gehören.

 

3. Versuchst du, die Musikalität eines Stückes selbst zu entdecken?

 

4. Eine Aufführung ist in gewisser Weise eine antwortende Reaktion auf das Publikum oder die Öffentlichkeit. Die Fähigkeit reagierend zu antworten beginnt mit Schweigen, Stille und Neutralität. Kannst du reagieren wenn du auftrittst, oder bist du zu sehr mit Angst und Stress beschäftigt?

 

5. Versuchst du deine eigene Identität als Künstler zu entdecken? Finde sie, ‚füttere’ sie und verstärke sie. Denke an die Bühnenpersönlichkeiten von Maurice Andre, Jean-Pierre Rampal, Maria Callas oder Louis Armstrong. Jeder Mensch hat das Potential seine oder ihre eigene Identität auszudrücken. Wer bist du? Auf welchem Weg wirst du deine künstlerische Identität finden?

 

5. Ein Regisseur benutzt sein Verständnis, seine Aufnahmefähigkeit und seine Intuition. Führst du Regie über die Musik wenn du spielst?

 

7. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, mit einem Komponisten oder einem anderen Musiker zusammenzuarbeiten, um eine Musik zu entwickeln, die deiner musikalischen Identität voll entspricht? Gibt es eine Musik, die wirklich ganz ‚deine’ ist? Wenn nein, warum nicht? Wie müsste eine solche Musik sein?

 

8. Wenn du versuchst, dir selbst auf den Grund zu gehen ohne tatsächlich aufzutreten (d.h. nur durch Üben), führt das zu exzessiver Introspektion und zu unhörbarer Musik. Mit ein wenig Übung und Unterstützung kannst du dich zu einem darstellenden Musiker entwickeln, der seine eigenen Ideen entwirft und vermittelt. Praktizierst du ‚learning by doing’? Wie oft trittst du auf?

 

9. Übst du, um auf schlechte Angewohnheiten und Dinge, die sich eingeschlichen haben aufmerksam zu werden und sie loszuwerden? Oder übst du nur mechanisch? 

 

10. Auf dem Weg zur Erschließung oder ‚Wiedererschaffung’ einer Komposition gibt es drei Schritte. Der erste ist der existentielle Schritt, bei dem überlegt wird, was das Stück für dich bedeutet. Der zweite ist der psychologische Schritt, bei dem überlegt wird, welche Motive der Komponist hatte, das Stück zu schreiben. Der dritte ist der semiotische Schritt, bei dem überlegt wird, wie das Stück zu spielen ist, damit andere seine Bedeutung nachvollziehen können. Hast du schon einmal über diese Schritte nachgedacht? Inwiefern macht dein Auftrittsverhalten die Motive eines Komponisten und deine innere Beziehung zu dessen Komposition deutlich?

 

11. Wenn wir auftreten kommunizieren wir. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass dabei alles, auch deine Erscheinung auf der  Bühne, von Bedeutung ist?

 

12. Ist dir klar, dass Menschen nicht nur mit ihrem Gehirn, sondern mit ihrem ganzen Körper denken? Ist dir klar, dass Auftreten im Wesentlichen eine körperliche Angelegenheit ist? Würdest du es als übertrieben ansehen, musikalisches Auftreten als Poesie im Raum zu bezeichnen, die durch intensive physische Vorbereitung möglich gemacht wird?

 

13. Kunst ist die Schaffung symbolischer Formen. Wie gestaltest du durch Hervorhebungen und Detailplanung deine Auftritte, damit eine solche ikonische Lebhaftigkeit entsteht?

 

14. Die Witzchen und das Gekaspere alleine machen noch keinen Clown. Das passiert  erst, wenn er oder sie etwas über sich selbst verrät. Authentizität. Macht die Technik oder die akrobatische Perfektion den Musiker aus? Sagst du immer die Wahrheit über deine innere musikalische Identität aus, wenn du spielst? Wie kannst du lernen, dies zu tun?

 

15. Hast du schon einmal bemerkt, wie blitzschnell und ohne nachzudenken du dich fängst, wenn du auf Eis ausrutschst? Das kann nicht Instinkt sein. Als du geboren wurdest, konntest du nicht einmal laufen. Aktivierst du das Wissen deines Körpers, wenn du spielst? Erarbeitest du dir beim Üben neues körperliches Wissen?

 

16. Musik und Theater sind Kinder derselben Muse. Ist dir klar, dass jede Konzeption, jede Idee und jede Methode im Theater ihre natürliche und selbstverständliche Folgeerscheinung in der Musik hat und umgekehrt? Ist dir klar, wie ein Verständnis dafür deine Musik bereichern kann?

 

17. Hast du schon einmal über dein inneres Repertoire an körperlichen Möglichkeiten, emotionalen Fähigkeiten und Vorstellungskräften nachgedacht? Versuchst du diese zu verstärken? Auf was greifst du zurück, wenn du auftrittst? Was hast du als auftretender Mensch anzubieten?

 

18. Setzt du dich beim Üben und beim Auftreten immer wieder einer Geisteshaltung des ‚Drangs zum Entdecken’ aus?

 

19. Übst du mit dem Ziel, Dinge so natürlich und spontan zu machen, dass du deinen Körper gar nicht mehr aktiv spürst? Du musst deinen Körper im Prinzip aufgeben, er darf letztendlich nicht mehr existieren. Ironischerweise fängt er dann erst wirklich an zu existieren. Unterwirfst du dir deinen Körper, indem du seine Blockaden entfernst?

 

20. Was tust du, um zu lernen wie man vor Publikum auftritt ohne Angst zu haben?

 

21. Vielleicht ist Musik kein Klang. Vielleicht existiert sie außerhalb unserer Köpfe gar nicht, da nichts in der Welt eine perfekte Abbildung unserer abstrakten Ideen sein kann. Versuchst du zu lernen mit unseren Unzulänglichkeiten und Fehlern umzugehen? Jeder darstellende Künstler muss dies tun. Es liegt in der  Natur des Menschen, aus Fehlern zu lernen. Beinhaltet schöpferische Tätigkeit nicht eine wundersame, zarte Zerbrechlichkeit?