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Wenn eine Frau die erste Posaune spielt

taz-Journal zur Weltfrauenkonferenz

29. Dezember 1994, Seite 66-67

 

von Sonja Schock

 

Zwölf jahre lang kämpfte Abbie Conant darum, Soloposaunistin der Münchner Philharmonie zu werden.  „Zuwenig Puste“ und ,,fehlendes Einfühlungsvermögen" warf ihr der Generalmusikdirektor vor.

 

    Am Anfang war eine Realsatire. Dar­aus folgten: ein Semi-Dokumentar­film, zwei Musiktheaterstücke und feministisches Bewusstsein. Und eine Soloposaunistin entwickelte sich zur Performance-Künstlerin. Die Realsatire selbst dauerte Zwölfjahre lang. Sie begann 1980 hinter einem Vorhang des Münchner Philharmoni­schen Orchesters. Dorthin begaben sich nacheinander 33 Musikerin­nen, um für die vakant gewordene Stelle der ersten Posaunistin vorzu­spielen. Der Vorhang war eingeführt worden, um etwaige Bewerberin­nen nicht zu benachteiligen. Dass ausgerechnet unter den Blech-Be­werbern eine Frau sein könnte, damit hatten offenbar weder der Gene­ralmusikdirektor Sergiu Celibidache noch die Vorstandsmitglieder des Orchesters gerechnet. Als dann der Vorhang gelüftet wurde, und sich Abbie Conant, die unbestrittene Siegerin des Vorspiels als Frau entpuppte - versehentlich war sie als Mr. Abbie Conant zum Vorspiel eingeladen worden -, war das Entsetzen groß. Und so wurde der Vorhang wieder abge­schafft. Die meisten anderen Or­chestermitglieder hatten weni­ger Probleme mit ihrer neuen Kollegin. Nach dem obligatori­schen Probejahr stimmten sie mit 9Bprozentiger Mehrheit für den Verbleib Conants. Celibida­che jedoch wollte diese Frau um jeden Preis loswerden. Nach dem Probejahr begann er, alle Register zu ziehen, um sein 7iel zu erreichen. Fr degradierte Co­nant erst einmal - ohne dafür Gründe zu nennen zur zweiten Posaune.

 

,,Das Ganze war völlig kafka­esk", erinnert sich Conant. ,,Am Anfang hatte ich immer das Ge­fühl, etwas falsch zu machen, und wusste nicht was." Damals konnte sie sich einfach nicht vorstellen, dass sie nur wegen ihres Ge­schlechts abgelehnt wurde. In einem persönlichen Gespräch bat sie den Meister: ,,Sagen Sie mir, was Sie nicht mögen. Ich bin ausgebildet, ich habe Talent, ich weiß, dass ich so spielen kann, wie Sie es wollen." Celibidaches Antwort fiel unmissverständlich aus. Sie kenne das Pro­blem. Er suche einen Mann für die Solo- Posaune. ,,Damals war ich ei­gentlich nicht sehr feministisch; das bin ich dann aber bald geworden", blickt Conant zurück.

 

Sie beschloss, gegen die Herabstufung zu prozessieren. Ihr Anwalt hatte ihr geraten, den neuen Arbeitsvertrag unter Vorbehalt zu unter­schreiben. Als die Posaunistin ihrer Unterschrift die Vorbehaltsklausel hinzufügen wollte, kam es im Personalbüro des Orchesters zum Hand­gemenge. Conant: ,,Der Personalreferent versuchte, mir den Vertrag zu entreißen. Wie eine Verrückte schrieb ich weiter, während der Mann an dem Vertrag zog und schließlich drohte, ihn in zwei Hälften zu zer­reißen." Ihr gelang es, den Vertrag zu schnappen und ihren Anwalt um Hilfe zu rufen.

 

Diese eindrucksvolle Szene hat Brenda Parkerson, eine Freundin Abbie Conants' später als Singspiel gestaltet. Sie erlebte die Jahre der Auseinandersetzungen hautnah mit und schwor sich schon früh, dar­aus einen Film zu machen. Die ersten Entwürfe, die die junge Regisseu­rin einreichte, wurden abgelehnt. Wieder so ein trauriges Frauen-Schicksal! Parkerson beschloss, die Farce als Farce zu gestalten und er­hielt daraufhin Fördermittel. Ihr Film montiert interviewsequenzen, Singspielpassagen, Dokumente und Ausschnitte aus Theaterstücken und anderen Filmen. Ob sie sich mit der Darstellung der Prozess- und sonstigen Streitszenen als Singspiel an Brecht angelehnt habe? ,,Nein", Brenda Parkerson lacht, ,,den hab ich gar nicht gelesen. Ich hab' mehr an Bugs Bunny gedacht." Abbie Conant meint nach einer ersten priva­ten Vorabschau: ,,Für mich ist der Film wie eine Therapie, weil er so lu­stig ist."

 

Die Auseinandersetzung selbst fand sie weniger lustig. Sie habe im­mer wieder Depressionen bekommen. ,,Ich hab' jeden Tag daran ge­dacht, in die USA zurückzugehen", sagt Conant, ,,aber andererseits hab' ich immer gedacht: das ist doch so absurd, das muss doch bald vor­bei sein." Statt dessen reihte sich Prozessverhandlung an Prozessverhandlung. Erst nach einigen Verhandlungstagen legte der Verwaltungs­direktor dem Gericht die Einwände des Maestros vor. Die Klägerin ver­füge nicht über die physisch erforderliche Kraft als Stimmführerin der Posaune, sie sei nicht in der Lage, die Posaunengruppe eindeutig zu führen, zudem fehle ihr das erforderliche Einfühlungsvermögen, um die künstlerischen Vorstellungen Celibidaches umzusetzen.

 

Conant blieb nichts anderes üb­rig, als Referenzen von Kollegen einzuholen. 43 zum Teil weltbe­kannte Dirigenten und Bläser be­scheinigten ihr eine ,,ausgezeich­nete Technik", ,,großes Einfüh­lungsvermögen",  ,,ausserordentliche Fähigkeiten", ,,künstlerische Vielseitigkeit" und ,,sichere Musi­kalität". Conants Glück: Immer wenn Gastdirigenten das Orchester führten, durfte sie die erste Posaune spielen. An das anschließende Klinkenputzen hat sie lebhafte Erin­nerungen: ,,Das war so erniedri­gend, Briefe von Gastdirigenten einzuholen, um zu beweisen, dass ich gut bin."

 

Aber selbst diese Zeugnisse reichten als Beweis für Conants Fä­higkeiten nicht aus. Als ihre Kontra­henten ihr auch noch einen Mangel an  Puste  andichten  wollten, machte Conant einen Lungentest. Die Krankenschwester fragte sie hinterher, ob sie Leistungssportle­rin sei.

 

Zwei Jahre lang suchte Conant nach einem unabhängigen Exper­ten, der bereit war, ihre spieleri­schen Fähigkeiten zu prüfen und zu bestätigen. Währenddessen ging der Nervenkrieg weiter. Mal wurde ihr angedroht, dass man möglicher­weise  ihre Aufenthaltsgenehmi­gung nicht würde verlängern kön­nen, mal unterstützten Kollegen ih­ren Dirigenten durch Mobbing-Ak­tionen.

 

Kleine fiese spielerische Tricks, um Conant aus dem Takt zu brin­gen, gehörten ebenso zu ihrem Re­pertoire wie Bemerkungen á la ,,man kann deutlich ihre Brustwar­zen sehen" kurz vor dem Auftritt. Dass sich andere MusikerInnen nicht offen mit ihr solidarisierten, verär­gert Conant am meisten. ,,Ich habe mich wie ein Paria gefühlt", erzählt sie, ,,wenn die anderen sich hinter mich gestellt hätten, das hätte be­stimmt sehr geholfen. Das waren schließlich nur einige wenige Män­ner, die mich angegriffen haben."

 

     Ihre Wut gegen die irrationale Maschinerie, der sie jahrelang ausge­liefert war, und der sie Schritt für Schritt rational durch mehrere In­stanzen hindurch entgegengetreten ist, bringt sie jetzt in der Filmrolle der Miriam zum Ausdruck. Miriam sitzt in der Irrenanstalt und plant ein Theaterstück für ihre Kinder. Miriam ist die kreative, aber gebrochene Frau, die erst Posaune spielt und Masken ausprobiert, schließlich aber mit Holzfesseln an einen Stuhl gebunden und zum Schweigen gebracht wird. Was ihr in der letzten Szene bleibt, ist ihr unbeugsamer Wille und die Wut, die aus ihren Au­gen sprüht. ,,When a woman gnaws off her tongue", heißt es im Stück. Autor und Komponist: Will iam Osborne, der Ehemann von Abbie Co­nant. Auch er hat die gesamten 13 Jahre der Auseinandersetzung mit der Münchner Philharmonie fassungslos miterlebt. Inzwischen be­zeichnet er sich selbst als Feminist.

 

William hat an Abbie Conants Seite gekämpft, ihr immer wieder Mut gemacht, den allzu zögerli­chen Anwalt ermahnt, schließlich sogar die Presse eingeschaltet. Den letzten  entscheidenden  Schritt musste Conant jedoch allein gehen: 1988 bekam sie endlich die Gele­genheit, einem Gutachter vorzu­spielen. ,,Das war für mich der dra­matischste Moment, als ich nach all den Jahren des Kampfes bewei­sen musste, dass ich recht hatte, dass ich gut bin", resümiert sie. Der Gut­achter bestätigte ihr Können. Sie sei durchaus in der Lage, ,,in einem Spitzenorchester als Solobläserin schwierigste Phrasen nach Anwei­sung des Dirigenten ausreichend lange und mit der gewünschten In­tensität sowie Stärke durchzuhal­ten".

 

Nachdem sie die Prozesse gewonnen hatte, wurde sie die einzige Posaunen-Professorin Deutschlands.

 

Auch das Gericht gab Conant endlich Recht. Sie bekam ihre Stelle als Solistin zurück. Bald fand sie jedoch heraus, dass sie in eine niedrigere Gehaltsstufe eingestuft worden war als alle anderen Soli­sten. Erneut zog Conant vor Ge­richt, wo sie abermals mehrere Jahre um ihr Recht kämpfte und es schließlich  1993  auch bekam. Nach ihrem Sieg verließ sie das be­rühmte Orchester und nahm eine Stelle als Posaunen-Professorin an der Musikhochschule in Trossin­gen an. Beinahe unnötig zu erwäh­nen, dass sie in Deutschland auch in diesem Bereich die einzige Frau ist. Wenn ihre Studentinnen sich wegen ihres Geschlechts diskrimi­niert fühlen, versucht sie ihnen klarzumachen, dass sie dieses Ge­fühl ernst nehmen und nicht als Hirngespinst abtun sollen. ,,Shit happens", ist Conants lakonische Botschaft.

 

Natürlich sei das ganze ein Balanceakt. Zuviel Naivität führe dazu, bei Widerständen und Diskriminierungen allzu schnell an den eigenen Fähigkeiten zu zweifeln. Zuviel Bewusstsein könne dagegen leicht zu allzu viel Misstrauen führen. ,,Ich kann mich noch erinnern", erzählt

Conant, ,,wie mir eine Kollege vor einem Konzert einmal toi, toi, toi ge­wünscht hat. Ich bin völlig misstrauisch geworden, hab' gedacht, wieso, das ist doch gar kein schweres Kon­zert, glaubt der etwa, dass ich Glück nötig habe?" Conant selbst hätte sich damals mehr Austausch mit ihren Kolleginnen gewünscht und glaubt auch heute, dass ein solcher Erfah­rungsaustausch die Frauen davor be­wahren kann, ihre Schwierigkeiten als individuelles Problem Fehlzudeuten. Trotz aller Belastungen ist sie froh darüber, die Sache durchgestan­den und einen Präzedenzfall geschaffen zu haben. Anfangjanuar wird sie wieder in München spielen, diesmal jedoch als Performance-Künst­lerin. In einem neuen Musiktheaterstück von William stellt sie, eine obdachlose

Straßenmusikerin dar, die davon träumt, vor großem Publikum zu spielen.  

-Sonja Schock (taz vom 29.12.1994)             

 

Orchester-Machismo (taz Kommentar)

Wie absurd es Frauen immer noch ergeht, in philharmonischen Orche­stern in die erste Reihe aufzurücken, zeigt der Fall der Posaunen-Virtuosin Abbie Conant. Erst zwölf Jahre nach ihrem bravou­rösen Vorspiel und einer juristischen Dauerfehde konnte sie die Position der Soloposaunistin einnehmen. Ser­giu Celibidache, Leiter der Münch­ner Philharmonie und von seinen Kollegen als ,,unverstellt maskulin" gelobt, geizte im Streit nicht mit Pseudoargumenten. Mal wurde Co­nant vorgeworfen, zuwenig physi­sche Puste zu haben, mal fehlte es ihr angeblich an ,,Einfühlungsvermö­gen". Conants Erfahrungen mit der ,,irrationalen Maschinerie" und Mobenden Kolleginnen fanden schließ­lich Niederschlag in einer Singspiel­-Performance ihrer Freundin Brenda Parkerson. Inzwischen steht Abbie Conant auch als Performance-Künst­lerin auf der Bühne.

 

 

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