Symphonieorchester und Künstlerpropheten: Kultureller Isomorphismus und die Machtverteilung in der Musik  

Veröffentlicht im Leonardo Music Journal (Vol.9,1999) M.I.T.Press

Von William Osborne

 

Einleitung

Die geschlechts- und rassebezogene Weltanschauung der Wiener Philharmoniker

Eine Strategie zur Analyse

Die Beschlagnahme der Wiener Philharmoniker als nationalsozialistisches

       Propagandainstrument

Kultureller Isomorphismus und Symphonieorchester

Die Alleinherrschaft des Dirigenten und die Objektivierung des Musikers

Die Verreinnahmung des Orchesters als Abbild des totalitären Kulturnationalismus

Die ideologischeVereinnahmung des Bildnis vom Künstlerpropheten

Das Aussterben des Künstlerpropheten in der postmodernen Welt

Anmerkungen

 

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Einleitung

Die Wiener Philharmoniker sind das Musterbeispiel eines Symphonieorchesters. Kein anderes Orchester der Welt war so eng verbunden mit den Komponisten und den kulturellen Entwicklungen, die das Genre bestimmt haben. Die Wiener Philharmoniker, die auch als das Orchester der Wiener Staatsoper fungieren, haben traditionell Frauen, und Menschen, die sichtbar Mitglieder ethnischer Minderheiten sind, die Mitgliedschaft verweigert, in dem Glauben, dass geschlechtliche und ethnische Einheitlichkeit künstlerische Überlegenheit mit sich bringt.

Erst letzen Februar, nach langen weltweiten Protesten, wurde die erste nicht-Harfe-spielende Musikerin in das Orchester der Wiener Staatsoper aufgenommen –eine Vorraussetzung für ihre spätere Mitgliedschaft bei den Philharmonikern.  Somit liefern die Wiener Philharmoniker/Staatsoper Orchester eine interessante Fallstudie zur Machtverteilung in der westlichen Kunstmusik.  Heute Abend zeigen wir die Anschauungen des Orchesters auf und verbinden sie mit der allgemeinen Theorie, daß die Machtverteilung in einer künstlerischen Ausdrucksform oftmals kulturell isomorph ist mit den größeren Werten der Gesellschaft in der diese Ausdrucksform vorkommt.  Daraufhin diskutieren wir wie kultureller Isomorphismus die Konzepte von Machtverteilung in modernen und postmodernen Gedankenformen beeinflußt.

Die geschlechts- und rassebezogene Weltanschauung der Wiener Philharmoniker

Zur Zeit findet sich nur eine Frau in den Reihen der Wiener Philharmoniker: Anne Lelkes, zweite Harfe. Nachdem sie 26 Jahre lang unoffiziell mit dem Orchester gespielt hatte, wurde ihr 1997 die Mitgliedschaft erteilt, um die weltweiten Proteste gegen das sexistische Verhalten des Orchesters einzudämmen. Seitdem hat das Staatsopernorchester eine zweite weibliche Harfe und eine tutti-Bratschistin engagiert.  Nach eine dreijährigen Probezeit im Staatsopernorchester besteht für diese Musikerinnen dann die Möglichkeit  zu Philharmonikerinnen ernannt zu werden.  Eine tutti-Bratschistin klingt zwar wie Fortschritt, wenn auch wie ein sehr später und langsamer.  Doch 1998 wurde eine hochqualifizierte Kandidatin, Gertrude Rossbacher, in Wien geborenes und an der Wiener Musikhochschule ausgebildetes Mitglied der Berliner Philharmoniker, vom Probespiel für eine Solobratschenstelle ausgeschlossen[1]. Es scheint als ob eine tutti-Bratschistin als Alibi-Frau zur Zeit hinnehmbar ist, während eine Frau als Solobratschistin immer noch undenkbar bleibt.  (Artikel der Los Angeles Times.)

Helmut Zehetner, Mitglied der zweiten Geigen, merkte in einem Interview des Westdeutschen Rundfunks an, daß das Orchester als ein rein männliches Ensemble über eine „emotionale Einheit“ verfügt, die seinem Spiel die überragenden Qualitäten verleiht. (Ganze Interview.) Auf die Frage nach der möglichen Aufnahme von Frauen in das Orchester antwortete er:

  "Nein, mir wäre das ehrlich gesagt nicht egal. Also ich hätte, ehrlich gesagt, ein ungutes Gefühl dabei, und zwar deshalb, weil wir damit eine emotionale Geschlossenheit, die dieser Organismus im Moment hat, aufs Spiel setzen wuerden. Meine Angst kommt eigentlich davon her, dass das ein Schritt wäre, den man nicht mehr zurückgehen kann[2]."

  Und Frau Lelkes betreffend antwortete er:

"Wir haben einen männlichen Harfenisten und zwei Damen. Wenn Sie fragen, wie weit das Geschlecht spürbar wird bei diesen Kollegen, ist meine persönliche Erfahrung, dass die Harfe so weit am Rand des Orchesters sitzt,  dass für mich diese emotionale Geschlossenheit, die ich sehr stark empfinde, wenn das Orchester so bei einer Mahler-Sinfonie zum Beispiel voll zum Kochen anfängt, nicht gestört ist. Da empfinde ich schon sehr stark, dass rund um mich einfach Männer sitzen, und wie gesagt, diese Geschlossenheit möchte ich nicht aufs Spiel setzen[3]."

  Dieter Flury, der Soloflötist des Orchesters, pflichtete dem bei und räumte außerdem ein, daß auch ethnische Einheitlichkeit von Bedeutung sei:

"Wir haben vorhin vom speziell Wienerische gesprochen, von dieser Art hier zu musizieren. Und das ist für mich auch ein Indiz, dass eben die Art, wie hier musiziert wird, nicht nur ein technisches Können ist, sondern sehr viel mit der Seele zu tun hat, und die Seele lässt sich einfach nicht trennen von den kulturellen Wurzeln, dass wir hier im mitteleuropaeischen Raum sind, und sie laesst sich auch nicht vom Geschlecht trennen. Also wenn man der Ansicht ist, dass die Welt nach Quotenregelungen funtkionieren sollte, dann ist natürlich die Tatsache, dass wir hier eine Gruppe von weisshäutigen männlichen Musikern sind, die ausschliesslich weisshäutige, männliche Komponisten aufführen, ein rassistisches und sexistisches Ärgernis, das muß man, glaube ich, so sagen. Wenn man jetzt mit einer oberflächlichen Gleichmacherei kommt, verliert man ganz Wesentliches daran. Deshalb bin ich der Überzeugung, daß es wert ist, dieses rassistische und sexistische Ärgernis zu akzeptieren, weil etwas heruauskommt, was meiner Meinung nach nicht im selben Mass herauskommen würde, wenn man das jetzt nach falschverstandenen Menschenrechten ändern würde[4]."

Neben der vermeintlich von geschlechtlicher und rassischer Einheitlichkeit hervorgebrachten ästhetisch-künstlerischen Reinheit, verwehren die Wiener Philharmoniker auch denjenigen Menschen die Aufnahme, die offensichtlich einer ethnischen Minderheit angehören, denn sie haben das Gefühl, das solche Personen das Image des Orchesters als authentischen Repräsentanten österreichischer Kultur beschädigen könnten. Diese auch von anderen österreichischen Orchestern vertretene Ansicht, wurde von Dr. Elena Ostleitner vom musiksoziologischen Institut der Wiener Musikhochschule dokumentiert. Sie hat folgende Aussage einer Asiatin aufgezeichnet:

"Ich habe mich bei einem Orchester beworben, führte mit der Punkteanzahl, solange noch hinter dem Vorhang gespielt wurde.  Aufgrund meines Namens war nicht ersichtlich, daß ich Asiatin bin.  Als der Vorhang dann fiel, wurde ich kommentarlos abgewiesen.  Freunde im Orchester haben meine Vermutung bestätigt.  Sie nehmen keine Ausländer, und wenn, dann nur jene, denen man es nicht ansieht[5]."

  Der Soziologe Prof. Roland Girtler von der Wiener Universität hat dieselben Bebachtungen gemacht:

"Es ist ja eines interessant, was mir aufgefallen ist, dass die Philharmoniker ja auch nicht aufnehmen würden so Japaner oder so. Würden sie auch nicht aufnehmen, weil das würde dann irgendwie äusserlich den noblen Charakter einer Wiener Kultur hinterfragen. Ein Japaner passt nicht nach Wien. Das hat nichts Rassistisches jetzt[6]."

  Somit ist also nicht die musikalische Leistung sondern die äußere Erscheinung von Asiaten das Problem—obwohl Girtler dies nicht als rassistisch ansieht.

In seinen 1970 veröffentlichten Erinnerungen beschreibt Otto Strasser, der ehemalige Vorstand der Wiener Philharmoniker, die Probleme, die durch hinter dem Vorhang abgehaltene Probespiele entstanden sind:

"Für unrichtig halte ich, daß der Bewerber heute hinter einem Vorhang spielt; eine Einrichtung, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingefürht wurde, um eine objektive Beurteilung zu gewährleisten.  Ich habe dagegen, besonders als ich später Vorstand der Philharmoniker wurde, stets angekämpft, weil ich der Überzeugung bin, daß zum Künstler auch der Mensch gehört, den man nicht nur hören, sondern auch sehen muß, um ihn in seiner gesamten Persönlichkeit beurteilen zu können.  [...]  Sogar eine Groteske, die sich nach meiner Pensionierung abspielte, hat keine Änderung bewirkt.  Ein Bewerber qualifizierte sich als Bester, und als sich der Vorhang hob, stand ein -- Japaner vor der verdutzten Jury.  Den engagierte man dennoch nicht, weil sein Gesicht nicht zum Neujahrskonzert und zur Pizzicato-Polka gepaßt hätte...[7]."

Von ähnlichen Ansichten wurde in einer Radiosendung des ORF berichtet. Ein Lehrer, der seine Schulklasse zu einer Probe der Wiener Philharmoniker gebracht hatte, erzählte, daß ein Mädchen aus der Klasse gefragt hat, wieso denn nur Männer im Orchester seien. Werner Resel, der damalige Orchestervorsitzende, hatte geantwortet, daß die „Wiener Philharmoniker ein Orchester von weißen männern [seien], die von weißen Männern geschriebene Musik für weiße Männer [spiele]“[8].

Alle dieser Äusserungen stammen hauptsächlich aus der Mitte der neunziger Jahre und basieren auf langen Traditionen. Es ist also eher unwahrscheinlich, dass diese damals vorgebrachten Meinungen jetzt plötzlich verschwunden oder revidiert sind.

Eine Strategie zur Analyse

Unter den zentraleuropäischen Symphonieorchestern, stehen die Wiener Philharmoniker was den Ausschluß von Frauen betrifft, durchaus nicht alleine da. In einem Umkreis von 500 Kilometern befinden sich sieben große Orchester, deren Frauenquote unter 10 bis 12% beträgt, wie aus der Tabelle ersichtlich ist[9]:

Orchestra

 

Men

% of Women

Wiener Philharmoniker

149

1

 <1%

Wiener Symphoniker

124

5

3%

*Staatskapelle Dresden

144

5

 3%

TschechishePhilharmonic

ca.120

5

 5% 

*Dresdner Philharmonie

117

6

5%

*Gewandhausorchester

193

13

7%

Berliner Philharmoniker

120

14

11%

[Editorial note 2005.  For the latest representation of women, click here.  Progress has been made, but most of the new women employs remain in the tutti strings.  Few have achieved solo positions.] 

Wieso haben Symphonieorchester einen solch strengen Geschlechtskodex? Wieso werden sie oft mit starkem Kulturnationalismus assoziiert? Wieso werden sie überhaupt noch aufrecht erhalten?

Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir zuerst einen Blick auf dEie Aktivitäten der Wiener Philharmoniker während und nach dem 2. Weltkrieg werfen und diese dann in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang bringen. Dies wird zeigen, daß die aktuelle Ausschlußpolitik der Institution Wiener Philharmoniker das Ergebnis längerfristiger geschichtlicher und kultureller Tendenzen ist.

 

Die Beschlagnahme der Wiener Philharmoniker als nationalsozialistisches Propagandainstrument

Wegen ihrer langen rassenideologischen Tradition konnten die Wiener Philharmoniker leicht in Beschlag  genommen und zu einem der aktivsten Orchester bei der Unterstützung des Nationalsozialismus gemacht werden. 1938 wurde Österreich durch den Anschluss ein Teil Großdeutschlands, was von weiten Teilen der österreichischen Bevölkerung euphorisch begrüßt wurde. Ein Programm zur Arisierung der österreichischen Kultur wurde angekurbelt und somit wurde Wilhelm Jerger, ein Kontrabassist im Orchester und SS-Leutnant Vorstand der Wiener Philharmoniker.

47% der Orchestermitglieder waren Nationalsozialisten, viele davon schon vor 1938, also als die Partei in Österreich noch gesetzlich verboten war[10]; sechs jüdische Orchestermitglieder starben in Konzentrationslagern, und 11 weitere konnten sich durch rechtzeitige Auswanderung retten; zusätzliche neun wurden für „mischrassig“ oder „versippt“ befunden und im Orchester heruntergestuft[11]. All dies beweist eindeutig die starken faschistischen Neigungen des damaligen Orchesters.

Die zahlreichen dem Nationalsozialismus dienenden Aktivitäten begannen wenige Tage nach dem Anschluss Österreichs mit einem Abstecher nach Berlin für ein speziell für Hitler gegebenes, von Wilhelm Furtwängler geleitetes Konzert. Die Anschlussfeierlichkeiten wurden beim Reichsparteitag von 1938 in Nürnberg mit Aufführungen der „Meistersinger“, wiederum unter Furtwängler, fortgesetzt. Hitler war über die Leistung und Hingabe des Orchesters so erfreut, daß er ihm persönliche Protektion und Fürsorge versprach und zu einer festen Institution der jährlichen Nürnberger Parteitage machte[12]. Das Orchester tourte darüberhinaus durch die besetzten Gebiete wo die „Germanisierung“ der eroberten Bevölkerung als absolut wichtig erachtet wurde. So spielten die Wiener u.a. in Krakau, Kopenhagen, Den Haag, Amsterdam, Paris und Dijon. In dieser und in vielen anderen Funktionen wurde das Orchester zu einem der wichtigsten Propagandainstrumente der Partei.

Aus Anlass des hundertsten Geburtstags der Wiener Philharmoniker 1942 erschien Wilhelm Jergers Schrift  Erbe und Sendung. Das Buch zeigt wie hervorragend die Ideologien des Orchesters sich zur Vereinnahmung durch die Nazis eigneten. Es enthält die Stammbäume einiger prominenter Vater-Sohn-Generationen, die eine historische Kontinuität in den Reihen der Philharmoniker formten.  Der Name jedes Nicht-Ariers, der in der Tabelle aufgeführt war, wurde mit einem speziellen Sternchen gekennzeichnet war. 

Jerger führte an, dass der arische Stamm dieser Familien dermassen „stark“ war, dass die Reinheit ihres „Blutes“  unter keiner genetische degeneration gelitten hat. Ich zittiere:

"Un da zeigte sich, daß trotz mannigfacher anderwärtiger Bluteinflüsse sich dieser Geist mit großer Zähigkeit durch die Geschlechterreihen forterbt, oftmals sehr scharf ausgeprägt.  Es ist begreiflich, daß eine solche Art von Vererbung hervorragende Musiker erzeugen muß, die auch in ihrer stilistischen Bildung, im Erfharungmäßigen des Orchesterspiels schon von der Familie her außerordentlich geschult sind.  Das ist Geist vom alten Geist, da hilft Tradition, Vererbung, überkommene Anlage zu einer besonderen Entwicklung und Erfüllung[13]."

Ausbildung wird als wichtig angesehen, allerdings nur im Zusammenhang mit speziellem Bluterbe, welches den „Geist“ überträgt. Dies geht einher mit der nationalsozialistischen These vom Ahnenerbe, die behauptet, daß kulturelle Wesenszüge ererbt werden. Und es besteht eine unheimliche Ähnlichkeit mit den jüngeren Aussagen des Orchesters über die besonderen Qualitäten der „zentraleuropäischen Seele“, seine Einstellung zu Asiaten und die Idee vom Musizieren im Kreise weißhäutiger Männer.

Jerger zeichnet auch ein rassistisches Potrait Gustav Mahlers, der 1898 Generalmusikdirektor der Philharmoniker wurde, nachdem Hans Richter das Orchester 23 Jahre vor ihm geleitet hatte. (Die Wiener Philharmoniker betrachten die Richter-Ära als ihr „Goldenes Zeitalter“.) Mahlers Amtszeit wurde von regelmässigen antisemitischen Belästigungen überschattet, und auch zum Teil deswegen verliess er das Orchester nach drei Jahren. Mit seinen eigenen Worten sowie Zitaten des Kritikers Max Kalbeck bringt Jerger einen Vergleich zu Papier, der die antisemitische Einstellung, mit der Mahler konfrontiert wurde, zum Vorschein bringt:

"Ein völlig anders geartete Persönlichkeit zog mit Mahler ein,'als da' --um mit Max Kalbechs anschaulichen Worten zu sprechen-- 'anstatt des hochgewachsenen blondbärtigen Hünen, der sich wie ein unerschütterlicher festgemauerter Turm breit und ruhig vor das Orchester hinlagerte, ein schlanke, nervöse, mit außerordentlich gelenkigen Gliedmaßen begabte Gestalt über das Podium balanacierte.' In der Tat, ein größerer Gegensatz war ja wirklich nicht möglich.  Dort der patriarchalishce Hans Richeter in seiner Behäbigkeit und Güte und seiner überaus herlichen und kollegialen Verbundenheit mit dem Orchester, und hier der ganz auf neue Sachlichkeit gestellte Gustav Mahler --nervös, hastig, zerfarhen, intellektualistsch--, dem Musik eine reine Angelegenheit seines überzüchteten Verständnis war[14]."

  Jergers Buch illustriert anschaulich wie nationale kulturelle Identität in der westlichen Kunstmusik mit Sexismus, Rassismus und chauvinistischer Ethnozentrik verknüpft sein kann.

Die Denazifizierung der Wiener Philharmoniker in der Nachkriegszeit wurde in einer desinteressierten, halbherzigen und nachlässigen Weise ausgeführt. Das Orchester argumentierte mit der einzigartigen Logik, dass es bereits durch „Arisierung“ soviel verloren hatte, dass es sich kaum leisten könne, durch „Denazifizierung“ noch mehr Qualität einzubüßen. Die Regierung äußerte „für diese Lage volles Verständnis“ dazu und schrieb:

  ...den derzetigen Stand als tragbar zu belassen, da man der Ansicht war, mann müsse im Interesse der Kulturmission Östreichs die Künstler im allgemeinen und die Wiener Philharmoniker im besonderen, einer anderen Einschätzung unterwerfen, als andere Berufskategorien[15].

Diese laxe Denazifizierung hatte Auswirkung auf die Politik des Orchesters. Als Arturo Toscanini 1947 gefragt wurde, ob er die Philharmoniker dirigieren würde, lehnte er wegen der noch im Orchester befindlichen Nazis ab und räumte ein, dass er seine Meinung nur dann ändern würde, wenn gewisse Faschisten aus dem Ensemble entfernt würden. Die Wiener Philharmoniker lehnten dies ab[16].

1949 beschlossen die Philharmoniker per Abstimmung eine Lohnkürzung, um dem Komponisten Hans Pfitzner eine Wohnung, eine Rente und einen Chaffeur zu finanzieren, obwohl Pfitzner einer der aktivsten antisemitischen Sprecher der Musikwelt des Dritten Reiches gewesen war[17]. Unter anderem hatte er das Regime bei ethnischen Säuberungen beraten. Die Philharmoniker ernannten ihn ausserdem zum Ehrenmitglied.

Das Orchester erregte weltweite Aufmerksamkeit als es 1953 einen ehemaligen SS –Feldwebel zum Vorstandsvorsitzenden ernannten[18]. Trotz ihrer hohen Musizierkunst hatten dank dieser Aktionen die Wiener Philharmoniker Schwierigkeiten, den Ruf vom „Nazi-Orchester“ wieder loszuwerden.

Obwohl die Wiener Philharmoniker bei ihren Mitgliedern geschlechtliche und ethnische Einheitlichkeit bewahren, gewähren sie fremden Einfluß durch Gastdirigenten und Solisten. Sie haben herausgefunden, dass es sich lohnt, immer wieder bewusst diese Gäste zu benutzen, um das Image des Orchesters in der Öffentlichkeit wiederherzustellen.  Zur gleichen Zeit wird still und heimlich nach wie vor Frauen und Menschen, die offensichtlich einer ethnischen Minderheit angehören, die ordentliche Orchestermitgliedschaft verwehrt. Dies hat sich als effektives PR-Mittel erwiesen, um eine Veränderung zu verhindern.  Es passt auch perfekt ins Bild soziologischer Modelle, die vorschlagen, dass isokratische Gruppen kontrollierte Beziehungen mit Aussenseitern eingehen, um zugleich ihren Ruf und ihren Status zu verbessern.

Eine Studie der Wiener Philharmoniker zeigt, dass ihre Ideologien es erlaubten, Ansichten, die in Deutschland und Österreich schon Jahrzehnte vor dem Anschluss Österreichs gang und gäbe waren, zu konzentrieren und zu institutionalisieren, und dass dies die Philharmoniker zur willkommenen und willigen Zielscheibe für eine nationalsozialistische Vereinnahmung gemacht hat. Was sind diese „rassistischen und sexistischen Ärgernisse“, die ein wesentlicher Teil des „noblen Charakters der Wiener Kultur“ sind, und wieso wird von uns verlangt, dass wir sie tolerieren? Wieso ist es wichtig, dass „weisse Männer Musik von weissen Komponisten für weisse Menschen spielen“? Wieso würden die Wiener Philharmoniker durch andersrassig aussehende Mitglieder wie Asiaten beschädigt werden? Was meinen sie mit „Seele“ und warum ist diese von Rasse und nicht nur von Erziehung beeinflusst? Und wieso finden sich diese Wertvorstellungen auch in anderen Symphonieorchestern, wenn auch weniger offensichtlich?

Kultureller Isomorphismus und Symphonieorchester

Wir können diese Fragen beantworten, indem wir das Orchester an sich von einer grösseren geschichtlichen und kulturellen Perspektive aus betrachten. Eine solche Untersuchung unterstellt, dass das Symphonieorchester kulturell isomorph ist mit den Werten der europäischen Gesellschaft, in der es sich entwickelt hat. Mit kulturellem Isomorphismus meine ich die Prozesse, in denen künstlerische Ausdruckmittel dazu tendieren, die allgemeinen kulturellen und soziopolitischen Überzeugungen ihrer Umgebung zu reflektieren. Soziologen haben in den letzten Jahren zahlreiche Modelle von Institutions-Umgebungs-Isomorphismus dargestellt, die für genau diese Art von historischer Untersuchung sehr nützlich sein könnten[19].

Es ist zum Beispiel relativ offensichtlich, dass das Vermächtnis des Feudalismus die europäische Kultur weit bis ins 19. Jahrhundert hinein beeinflusst hat, und dass die patrizischen, autokratischen und hierarchischen sozialen Strukturen des modernen Symphonieorchesters noch von ihm durchdrungen sind[20]. Als einfaches Anschauungsbeispiel dafür dient die Konzertkleidung. Im 18. Jahrhundert glich der Status der Orchestermusiker, die von Aristokraten angestellt waren, dem der Dienstboten.  Bis zum heutigen Tage tragen männliche Orchestermusiker den Frack, da er die übliche Kleidung der Diener war.

Es ist ebenfalls offensichtlich, dass Aristokraten die kulturelle Schirmherrschaft hatten, und dass somit die Kunst, die sie förderten ihre Vorstellungen von Stellung, Macht und patrizischer Identität reflektierte. Europäische Kunst tendierte daher stets dazu, eine kulturell isomorphe Weltanschauung von überirdisch gerechtfertigter Selbsherrlichkeit erkennen zu lassen. Von der Krone Karls des Grossen über den Versailler Palast des Sonnenkönigs bis zur den britischen Kolonialismus glorifizierende Literatur, der Zweck europäischer Kunst war es oft, die Macht und Autorität derjenigen zu zelebrieren und zu stärken, die sich selbst für die Empfänger einer gottgegebenen Überlegenheit hielten.

Im 19. Jahrhundert wurden das Konzept der ererben Überlegenheit des Adels vom Bürgertum vereinnahmt und in Theorien von ethnisch bedingter Vormachtstellung und kulturellem Nationalismus verwandelt[21]. Diese –sowohl aristokratischen als auch nationalistischen- Ansichten-- formulierten das Erbe höchst traditionsreicher Orchester wie der Wiener Philharmoniker.  Sie illustrieren, weshalb deren Vorstand das Orchester öffentlich als „weisse Männer, die Musik weisser Komponisten für ein weisses Publikum“ spielen bezeichnet hat –besonders in einem sehr konservativen, monokulturellem Land wie dem postimperialistischen Österreich[22].  

Eine der bedeutenten Ideologen der Überlegenheit der deutschen Rasse war Houston Stewart Chamberlain, dessen Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (1899) die „arische“ Grossartigkeit in groben Zügen darstellte. Sein Rasse und Persönlichkeit (1925) beeinflusste Hitler unmittelbar. Er war ein Bewunderer Wagners und schrieb 1892 Notes sur Lohengrin. Eine Biographie des Komponisten folgte 1895. 1907 liess er sich in Bayreuth nieder und heiratete Wagners einzige Tochter Eva.

Der Aufstieg des Kulturnationalismus im 19. Jahrhundert hatte tiefschürfende Auswirkungen auf das Kaisserreich Österreich-Ungarn, die damit begannen, dass mehrere im Reich integrierte Völkerschaften ihr eigenes nationales Selbstbewusstsein entwickelten, darunter das Wiederaufleben  slawischer, italienischer und deutscher Kulturen. Durch die Schriften Emanuel Kants und seiner Anhänger (Fichte, Hegel, Schopenhauer und Nietzsche seien genannt) wurde dieser Nationalismus mit einem transzendentalen Idealismus durchdrungen, der die Vorrangstellung des Spirituellen und Intuitiven vor dem Materiellen und Empirischen betonte[23].

Diese Ideen beeinflussten auch die damalige Musik sehr stark und führten zu einem kulturellen Ideal, das bezeichnet werden könnte als der Künstlerprophet, ein überirdisch inspirierter Künstlerheld der als die Stimme „seiner“ Nation sprach. Komponisten wie Wagner, Dvorak und Verdi erfüllten diese Rolle und halfen den sich herausbildenden europäischen Ländern, ihre ethnische Identität und ihre nationalstaatlichen Aspirationen zu behaupten. Der ultimative Ausdruck dieser Ästhetik war wahrscheinlich Bayreuth, das mit einem Tempel verglichen werden kann, in dem nationale Mythen und Bräuche quasireligös zelebriert werden.

Die Wiener Philharmoniker wurden 1842 gegründet um gerade diese neue Genre symphonischer Musik zu präsentieren. Von Anfang an waren die Grundsätze des Orchesters somit beeinflusst von dem Gespenst nationalen und patrarchalischen ethnischen Selbstbewusstseins, das zu dieser Zeit überall umging. Die Idee der überirdisch gerechtfertigten nationalistischen Monokultur begann, das Prinzip der ethnischen Einheitlichkeit im Orchester zu erfüllen. Dieses Vermächtnis des 19. Jahrhunderts zeigt sich noch heute, wenn die Wiener Philharmoniker von ethnischer Reinheit und den transzendentalen Qualitäten der „zentraleuropäischen“ „Seele“ sprechen[24].

In Die Welt als Wille und Idee (1819) und anderen einflussreichen Schriften, die darauf folgten, erschuf Arthur Schopenhauer eine Philosophie, die sich dafür einsetze von Geist und Vernunft weg sich den Kräften von Intuition, Kreativität und dem Irrationalen hinzugeben. Diese Meinung hatte grossen Einfluss auf Nietzsche, der in Die Geburt der Tragödie (1872) verkündete, dass Kunst und Literatur sich die Dionysischen Elemente des Irrationalen aneignen müssten, um existieren zu können. Diese Sichtweise führte zu dem radikalen Willen von Nietzsches Übermenschem in Also sprach Zarathustra. Schopenhauer und Nietzsche beeinflussten wiederum das deutsche Kulturreich von Wagner und Pfitzner bis zu Wedekind und Freud. Die gestohlene Idee vom Radikalen Willen wurde Teil des faschistischen Heldenkultes und beeinflusste Handlungen, die als das Radikale Böse bezeichnet werden könnten. Siehe auch: Joan Copjec, Hrsg., Radical Evil (London and New York: Verso, 1996).

 

Die Alleinherrschaft des Dirigenten und die Objektivierung des Musikers

Der Aufstieg des Nationalismus im Symphonieorchester entwickelte sich zusammen mit der immer stärker werdenden Alleinherrschaft des Dirigenten, welche wiederum isomorph war mit dem konnterrevolutionären Autoritarismus der sich nach der Niederschlagung der Aufstände von 1848 entwickelt hatte. Genau wie Komponisten wurden Dirigenten nach und nach als Künstlerpropheten angesehen während die Orchestermusiker immer mehr objektiviert wurden. Musiker wurden zu höchst aufmerksamen Maschinen, musikalischen Gedankengebäuden, zu Fantasien, entsprungen dem Dirigentenhirn.

Einer der ersten grossen allmächtigen Dirigenten, Carl Maria von Weber, tauchte zu dieser Zeit auf. Er sagte der junge Wagner, "Nicht Kaiser und nicht König, aber so dastehen und dirigieren[25]." Die Idee vom Kaiserdirigenten hat bis heute überlebt, und noch immer werden manchen modernen Maestros transzendentale, offenbarende Kräfte zugesprochen, oft in Verbindung mit ihrer Maskulinität[26]. 1992 enthielt das Programmheft der Münchner Philharmoniker die folgende Beschreibung ihres Generalmusikdirektors:

"Sergiu Celibidache ist ein außerordentlicher Europäer, so eindrucksvoll, weil in ihm eine unverstellt maskuline Strahlung zum Ausdruck kommt, die nicht korrumpierbar ist.  Und dieses hat die Welt sehr notig, denn wir leben in einer vaterlosen Gesellschaft, einer Welt ohne Maßstäbe in diesem Punkt.  Und da ist ein solcher Mann, der sich nicht korrumpieren ässt und der ganz offen zum Ausdruck bringt – gerade wahrend des Konzertes -, was in ihm vorgeht, natürlich eine tiefbewegende Erscheinung.  Zuhörer und Auführende können mit ihm Musik noch als Offenbarung erleben[27]."

Das ist es, das Vermächtnis vom Künstlerpropheten, die Musik als „Offenbarung“ einer „ungehinderten maskulinen Aura“ in einer „vaterlosen Gesellschaft“[28].

Die Verreinnahmung des Orchesters als Abbild des totalitären Kulturnationalismus

Am Ende des 19. Jahrhunderts war das Symphonieorchester somit isomorph geworden mit der nationalistischen und industriellen Weltsicht der damaligen Zeit[29]. Das Orchester wuchs und es wurden immer grössere Gruppen von Musikern verwendet, um Partituren zu spielen, die rassisch bestimmte nationalistische Ideen entzündeten, geleitet von Dirigenten, die eine Form von diktatorischer Macht besassen wie sie die Musikwelt noch nie vorher zu Gesicht bekommen hatte[30]. Im postrevolutionären Deutschland und Östereich waren autokratische Wertvorstellungen ebenso gefährlich verbreitet wie der chauvinistische Nationalismus der Zeit und—durch den Prozess kulturellen Isomorphismus—waren sie immer mehr auch in den Symphonieorchestern zu finden. Somit erscheint es als wahrscheinlich, dass auf unbewusster und metaphorischer Ebene, die symbolischen Rituale des Symphonieorchesters des 19. Jahrhunderts einen weiteren kulturellen Faktor auf dem fatalen Weg der europäischen Psyche zum Nationalsozialismus darstellten.

Dies erklärt vielleicht, wieso in den 30er Jahren nicht nur die Wiener Philharmoniker, sondern auch andere Ensembles wie die Berliner und Münchner Philharmoniker zu wichtigen Propagandainstrumenten zur Bestätigung der Nationalsozialistischen Weltanschauung wurden[31].

Die überirdisch gerechtfertigte Autorität des Symphonieorchesters, menschliche Objektivierung und kultureller Nationalismus machten es zu einem nützlichen kulturellen Symbol, das als Abbild der nationalsozialistischen Ideologie fungieren konnte. Wie Hitler bemerkte:

Die Kunst ist eine erhabene und zum Fanatismus verpflictende Mission.  Wer von der Vorsehung ausersehen ist, die Seele eines Volkes der Mitwelt zu enthüllen, sie in Tönen klingen oder in Steinen sprechen zu lassen, der leidet unter der Gewalt des allmächtigen, ihn beherrschenden Zwanges, der wird seine Sprache reden, auch wenn die Mitwelt ihn nicht versteht oder verstehen will, wird lieber jede Not auf sich nehmen, als auch nur einmal dem Stern untreu zu werden, der ihn innerlich leitet[32].

Symphonische Musik wurde für die deutscheste aller Künste gehalten, und die Menschen waren schon lange konditioniert, zu glauben, dass ihre Künstlerpropheten „unter der Macht des Allmächtigen“ leiden, und dass sie  über der profanen Welt in einer „hohen Mission“ waren, um „die Seele der Menschen zu offenbaren“—eine Mission, mit der des Führers kulturell isomorph. Und das Phänomen Künstlerprophet, verkörpert von Komponist und Dirigent, machte sie erkennen, dass überirdischer Elan und Hingabe die Unterwerfung anderer durchaus rechtfertigen konnte, während sie zugleich kulturelle Überlegenheit symbolisierten—Verhalten, das auch Hitler auszeichnete. Auf der Höhe ihres Einflusses war die Macht des Symphonieorchesters als eine kulturell isomorphe soziale Metapher unübersehbar. In den Worten Oscar Wildes: „Das Leben imitiert die Kunst viel mehr als die Kunst das Leben.“

Das Obengenannte behauptet also, dass der Nationalsozialismus nicht nur das Resultat kurzfristiger geschichtlicher Einflüsse oder lediglich äusserer gesellschaftlicher Umstände war, sondern auch der isomorphe Ausdruck westlicher kultureller Wertvorstellungen, die längst etabliert waren. Eine Gesellschaft, deren künstlerische Ausdrucksmittel Ethnozentrik, kulturellen Nationalismus, menschliche Objektivierung und überirdisch gerechtfertigte Alleinherrschaft in Ehren halten, kann dies zwar auf konstruktive Art in Symphonieorchestern benutzen, muss jedoch sich bewusst sein, dass die selben kulturellen Wertvorstellungen zu Formen von Totalitarismus beitragen können. Betrachtet man die Person Adolf Hitler genauer, so kann man erkennen, dass die „Radikaler Wille“-Ästhetik des 19. Jahrhunderts schliesslich auf eine Ethik des„Radikal-Bösen“ des 20. Jahrhunderts getroffen ist[33].

 

Die ideologischeVereinnahmung des Bildnis vom Künstlerpropheten

Bis zu einem gewissem Grad fuhren die Künstler des 20. Jahrhunderts fort, sich am Bild des Künstlerpropheten des 19. Jahrhunderts zu orientieren, wenn auch sie das Gegenteil behaupteten. Im Allgemeinen unterschieden sie sich von den Romantikern, indem sie ihrem Werk einen Ton von rationalistischer Objektivität zugaben, was ja mit dem vorherrschend wissenschaftlichen und technologischen Geist des neuen Jahrhunderts durchaus kulturell isomorph war. Dieser komplizierte Spagat zwischen der Romantik und dem objektiven Geist des Modernismus brachte einige der tiefsinnigsten modernen Kunstwerke hervor. Man denke an T.S. Elliots unvoreingenommene objektive Sprachkunst, die eine von  Dantescher mittelalterlicher Spiritualität zu anglikanischer Ergebenheit reichende Weltsicht ausdrückte; oder an Schönbergs und Bergs von rigorosen theoretischen Strukturen umhüllten Expressionismus; an George Crumbs postwebernscher Zelltheorie, den Geist Lorcischen Animismus einfangend; oder an Pendereckis rauh dissonanten Frühstil der nach und nach zu romantischen Formen zurückfindet. Das wohl beste Beispiel für einen modernen Künstlerpropheten bei dem sich romantischer Transzendentalismus offenkundig zeigt, ist Karlheinz Stockhausen, der nicht nur eine wichtige Rolle bei der technischen Entwicklung elektronischer Musik gespielt hat, sondern der auch glaubt, dass sein höchst mystischer Zyklus von sieben langen Opern von einer höheren Bewusstseinsebene vollendet wird.

Patriarchischer Transzendentalismus ist von Natur aus selbstzerstörerisch, denn er erhebt den Geist über den Körper,  oder das Spirituelle über das Materielle. In der Kunst tendiert er daher zu wiederkehrenden Zyklen von Ekstase, Revolution, Zerstörung und Reue. Das wurde lebhaft durch Hitlers Vereinnahmung des Bildes vom modernistischen Künstlerpropheten veranschaulicht[34]. Der herumtreibende Maler und selbsternannte Künstler-Führer aus der Wiener Dachkammer wurde endlich erhört, und mit seiner „göttlichen“ Inspiration und seinem „wissenschaftlichen“ Verständnis, hoffte er, die Welt zu zerstören und eine auf „wissenschaftlichen“ Ideen von der Evolution der Rassen, von Erbgesundheitslehre und Euthanasie basierende Revolution schaffen zu können. (Ebenso gehörten die italienischen Futuristen, die sowohl moderne Technik als auch die romantisch-transzendente Autorität des „Übermenschen“  verehrten, zu den ersten Anhängern Mussolinis.)

Die Ehe zwischen Wissenshaft, Transcendenz und Gewalt war kulturell isomorph mit der modernistischen Fortführung des aus dem 19. Jahrhundert stammenden Konzept vom Künstlerpropheten, der als Quelle von Wahrheit und Gerechtigkeit angesehen wurde, und dem man durch einen Zyklus von Zerstörung und Wiedergeburt zu folgen hatte. Im Lande Bayreuths hing Hitlers Erfolg zum grossen Teil von seinem Vermögen ab, die Grenzen zwischen Künstlerprophet und absolutistischem Diktator zu verwischen. Mit seiner diktatorischen Musikbesessenheit hatte er eine erstaunlich genaue Vision vom Dritten Reich als einem grossen Werk des Musiktheaters[35]. Glücklicherweise war seine Götterdämmerung  vollkommener als seine Revolution, die, wie er hoffte, zu einer neuen Weltordnung führen würde, einer Welt von wissenschaftlich gezüchteten, doch romantisch-transzedenten Übermenschen.

Der grössere Entwurf  von Hitlers Idee vom Künstlerpropheten schloss die Wiedererschaffung der Menschheit nach den Regeln einer neuen Ästhetik mit ein. Von diesem Blickwinkel aus, war der Holocaust ein Kunstwerk, eine „Reinigung“ der Kultur, ein „Skulptieren“ der menschlichen Rasse. Die westliche Kultur hatte die beunruhigende Fähigkeit entwickelt, Ästhetik so zu idealisieren, dass sie den Reiz des Bösen verstärkt. Ästhetik und politische Ideologie hatten sich also zu einer einzigen furchterregenden Kraft zusammengefunden. Das menschliche Leben wurde zu Lehm in den formenden Händen des Künstlerpropheten.

Das Konzept vom Künstlerpropheten bereicherte die künstlerisch-expressive Kreativität, doch gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte es bereits eine Tendenz zu ideologischer Kategorisierung und Orthodoxie entwickelt. (Dies sieht man zum Beispiel an den nationalistischen Konzepten der Opern Wagners und Verdis.) Der Künstlerprophet systematisierte den Glauben, indem er die ästhetische Ideologie in Begriffe fasste, und dies wurde kulturell isomorph mit den im 20. Jahrhundert vorherrschenden systematischen Formen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Organisation. Wir können die Essenzen des kulturellen Isomorphismus zum Beispiel beobachten an der „Gleichschaltung“[36] im Dritten Reich, am sozialistischen Realismus im Ostblock, an der Kommerzialisierung der amerikanischen Kultur und an der „Kulturrevolution“ im maoistischen China.

Ebenso wie die politischen Schranken des 20. Jahrhunderts reduzierten diese ästhetischen Orthodoxien den menschlichen Ausdruck zu systematischen Konzepten die zum Formalismus und Reduktionismus neigen, und die oft von modernistischen Künstlern in der Rolle ästhetischer Propheten entwickelt wurden, die mehr oder weniger eine transzendental gerechtfertigt patriarchalische Funktion innerhalb ihrer Gesellschaft einnahmen. Diese ästhetischen Systeme hatten die Tendenz, kulturell isomorph mit den politischen und wirtschaftlichen Strukturen zu sein, in denen sie existierten, und regelmässig liess sich der Künstler oder zumindest sein öffentliches Image von totalitaristischen Strukturen vereinnahmen.

Das Aussterben des Künstlerpropheten in der postmodernen Welt

Die Modernisten machten sich den vermeintlichen Rationalismus zu Eigen, doch wegen ihrer komplexen und oft zerstörerischen Beziehung zum Vermächtnis der Romantik des vorigen Jahrhunderts, schienen sie und ihre Kulturen oft geistig enteignet. Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs waren Kompnisten auf der Suche nach neuen Formen von Autorität im musikalischen Ausdruck.  Dies ermöglichte Amerika zum ersten Mal in der Geschichte die Weltbühne der Musik zu betreten.

Der einflussreichste dieser Komponisten war John Cage, der durchsetzte, dass jede Art von Klang als musikalisches Material dienen kann.  Dies konnte in aleatorischen Formen --die vom Willen des Künstlers unabhängig waren-- vorgeführt werden. Wegen des historischen Kontexts, hatte dies tiefgreifende Auswirkungen. Die vom Krieg gezeichneten Europäer wussten, das das Dritte Reich zum Teil ein Ausdruck ihrer kulturellen Wertvorstellungen gewesen war, und dieser ehemalige Schüler Schönbergs öffnete eine neue Welt, eine Emanzipation des Klanges, befreit von der völkermörderischen Vergangenheit.

Doch am Ende des Kalten Krieges schmolzen die weltpolitischen Pole ebenso wie die ideologischen, die von modernistischen Künstlerpropheten, sogar solcher wie Cage, wiedergegeben wurden. Und als die Postmodernisten sich immer mehr in die Natur  menschlicher Wahrnehmung hineindrängten, wurde die Autorität des Wissens selbst immer mehr angezweifelt. Sie offenbarten nicht nur die willkürlichen Formen des Wissens, sondern auch ihre Verwirrung, Unentschlossenheit und ihre Subjektivität.  Dies war wiederum kulturell isomorph mit der komplexen phänomenologischen Welt post-Newtonscher Wissenschaft, die mit ihrer eigenen Tendenz zu rationalem Reduktionismus und ihrem Anspruch auf objektive Gewissheit konfrontiert wurde. Das westliche Paradigma von der Trennung von Subjekt und Objekt wurde ersetzt von dem Verständnis, dass die Wirklichkeit eine komplexe phänomenologische Gestalt ist, eine voneinander abhängige und immer wachsende Ehe zwischen Geist und Natur, die nicht nur neue Wahrheitskonzepte, sondern auch neue Formen von Schönheit hervorbringt. Diese Ehe bringt einen neuen Humanismus sowohl in die Wissenschaft als auch in die Kunst.

Stimmt die Theorie vom kulturellen Isomorphismus, so werden sich im Globalen Dorf neue künstlerische Genres entwickeln, die sich von den Kreationen der Künstlerpropheten, die die feudalistischen, nationalistischen und monolithischen politischen Ideologien der europäischen Geschichte repräsentieren, unterscheiden werden. Verbindende technologische Entwicklungen—so wie die gemeinschaftliche musikalische Komposition via Internet und die Fähigkeit, Informationen weltweit schnell zu verbreiten und abzurufen—werden neue Konzepte von Gemeinschaft hervorbringen. Vorstellungen von stilistischer Orthodoxie werden vermindert werden, und diskriminierte Gruppen wie Frauen oder Minderheiten werden grösseren Zugang zu den Machtschauplätzen haben, die von neuen Formen grossangelegter Networks erschaffen werden.

Fortschritte wie diese werden das patriarchalische Kulturkonzept vom Künstllerpropheten schwächen und die autoritären, hierarchischen Strukturen des Symphonieorchesters, das sein Instrument war, ersetzen. Der Wunsch von Orchestern wie der Wiener Philharmoniker, ein historisches öffentliches Image ethnischer und geschlechtlicher Reinheit zu behalten, wird ein dunkles Kapitel der Vergangenheit repräsentieren, ein Überbleibsel von autoritären, überirdisch gerechtfertigten Kulturnationalismus, der am Ende politische und ästhetische Ideologie zu einer furchterregenden Kraft zusammenführte. Die neuen sich entwickelnden gesellschaftlichen Strömungen werden ihren Teil dazu beitragen, dass die westliche Kultur den katastrophalen blinden Fanatismus vermeiden wird, der das 20. Jahrhundert zu Brutalität, Krieg und Völkermord geleitet hat.

Übersetzung: Martin Wittenberg

Anmerkungen

[1] Jan Herman, „For Violist, the rules never seemed to change,“ The Los Angeles Times (27. Februar 1998)

[2] Das Interviewmaterial wurde vom Autor und Regina Himmelbauer transkribiert aus: “Musikalische Misogynie,” eine Sendung des Westdeutschen Rundfunks, 13. Februar 1996. Siehe auch: William Osborne: „Art Is Just An Excuse: Gender Bias in International Orchestras“, Journal of the International Alliance for Women in Music, Vol. 2, No. 3, S. 6 (Oktober 1996)

[3] Die zweite „Dame” ist Adelheid Miller, die nicht bei den Wiener Philharmonikern spielt. Sie arbeitet im Orchester der Wiener Staatsoper. Die Mitglieder des Staatsopernorchesters unterhalten die Philharmoniker als privates Nebenunternehmen, doch Miller wurde wegen persönlicher Differenzen ausgeschlossen. Sie ist kürzlich in Pension gegangen und ihr folgte eine weitere weibliche Harfenistin, Julie Palloc, die sich nach dreijähriger Anstellung im Opernorchester für die Mitgliedschaft bei den privaten Philharmonikern qualifizieren wird. Die Wiener Staatsoper/Wiener Philharmoniker haben die Anstellung von Frau Palloc als Fortschritt dargestellt, obwohl sie schon immer weibliche Harfenistinnen benützt haben.

[4] Ibd.

[5] Elena Ostleitner, Liebe, Lust, Last und Lied (Wien, Bundesministerium für Unterricht und Kunst, 1995) S. 6

[6] „Musikalische Misogynie,“ eine Sendung des Westdeutschen Rundfunks, 13. Februar 1996. Siehe auch: Roland Girtler, „Mitgliedsaufnahme in den Noblen Bund der Wiener Philharmoniker Als Mannbarkeitsritual“, Sociologia Internationalis, Beiheft 1 (1992)

[7] Otto Strasser, Und dafuer wird man noch bezahlt: Mein Leben mit den

Wiener Phiharmonikern (Wien: Paul Neff Verlag, 1974) S. 21-22.

[8] „Von Tag zu Tag“, eine Sendung des Österreichischen Rundfunks, 11. Dezember 1996, 16.05 Uhr bis 16.45 Uhr. Der Lehrer, der Zeuge des Vorfalls war, sprach in dieser Sendung und zitierte Resels Stellungnahme. Das Transkript ist vom Autor.

[9] Die Statistiken  zu den Wiener Symphonikern sind aus: Elena Ostleitner, Liebe, Lust, Last und Lied (Wien, Bundesministerium für Unterricht und Kunst, 1995) S. 62. Die Statistiken für die ostdeutschen Orchester sind aus: Jutta Allmendinger, „Staatskultur und Marktkultur, Ostdeutsche Orchester im Vergleich“, unveröffentlichtes Arbeitspapier (Report No. 2, Cross-National Study of Symphony Orchestras, Harvard University Business School, 1991) table 1. Die Statistiken zu den Wiener und Berliner Philharmonikern wurden vom Autor zusammengestellt. In Berlin gab es vier weitere Frauen im Probejahr. Die Situation hat sich seitdem verbessert, doch die Frauenquote in diesen Orchestern ist nach wie vor ziemlich niedrig, im Allgemeinen unter 10%. Fast alle Frauen spielen in den Tuttistreichern.

[10] Clemens Hellsberg, Demokratie der Könige: Die Geschichte der Wiener Philharmoniker (Zürich: Schweizer Verlagshaus; Wien: Kremayr & Schierau; Mainz: Musikverlag Schott, 1992) S. 464. Hellsberg ist der Vorstand der Wiener Philharmoniker. Sein Buch ist verhältnismässig offen in der Diskussion über die Zusammenarbeit des Orchesters mit dem Nationalsozialismus, doch seine Anmerkungen besitzen oft einen rationalisierenden Ton.

[11] Ibd. S. 505

[12] Ibd. S. 464

[13] Wilhelm Jerger, Erbe und Sendung (Wien: Wiener Verlag Ernst Sopper & Karl Bauer, 1942)S. 87. Exemplare dieses Buchs sind sehr rar. Vielen Dank an Manuela Schreibmaier und Regina Himmelbauer für das Auffinden und Besorgen eines Exemplares für mich.

[14] Ibd. S. 57

[15] Ibd. S. 510

[16] Ibd. S. 518

[17] Erwin Kroll, „Der Warthegau huldigt Pfitzner.“ Allgemeine Musikzeitung, Leipzig (LXIX/10, 18. September 1942; zitiert in: Prieberg, Fred K., Musik im NS-Staat (Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1982) S. 224. Siehe auch: Hellsberg, 549-551. Hellsberg bezeichnet die Unterstützung Pfitzners als humanen Akt und als „Meilenstein“ in der Orchestergeschichte.

[18] Hellsberg, S. 514

[19] Diese Modelle könnten auch erklären, warum Institutionen zu ihrer Umgebung eine Opposition bilden, oder warum sie an einem bestimmten Zeitpunkt einfrieren. So weit ich weiss, ist der Terminus kultureller Isomorphismus meine eigene Erfindung. Ich habe ihn von soziologischen Modellen über die Beziehungen zwischen Institutionen und ihrer Umgebung abgeleitet. Für eine Studie über Institutions-Umgebungs-Modelle angewandt an zeitgenössischen Symphonieorchestern des ehemaligen Ostdeutschlands, siehe: Jutta Allmendinger und J. Richard Hackman, „Organizations in changing Environments: The Case of East German Symphony Orchestras“, Administrative Science Quarterly, No. 41, S. 337-369, Cornell University (1996). Siehe auch: Arthur Stinchcombe, „Social Structure and Organizations“ in James G. March (Hrsg.), Handbook of Organizations (Chicago: Rand McNally, 1965) S. 142-149. Und: Paul J. DiMaggio und Walter W. Powell, „The iron cage revisited: Institutional isomorphism and collective rationality in organizational fields“,American Sociological Review, No. 48, S. 147-160 (1983). Die Theorie könnte mit der Soziologie des Wissens verwandt sein wie sie von Autoren von Marx bis Habermas entwickelt wurde. Eine spezifische Beziehung besteht zu den frühen Schriften Adornos, die die ästhetische Entwicklung als wichtig für die geschichtliche Entwicklung und die Suche nach „Wahrheit“ herausstellen.

[20] Feudalismus war ein politisches und wirtschaftliches System im Europa des neunten bis etwa fünfzehnten Jahrhunderts, das sich durch Vassalentum auszeichnete. Der Ausdruck wird auch oft benutzt, um sich auf eine politische, ökonomische oder soziale Ordnung, die diesem mittelalterlichen System gleicht, zu beziehen. In diesem Artikel beziehe ich mich auf das kulturelle Vermächtnis des Feudalismus, das Europa weit bis ins 19. Jahrhundrt hinein geprägt hat.

[21] Eine der bedeutenten Ideologen der Überlegenheit der deutschen Rasse war Houston Stewart Chamberlain, dessen Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (1899) die „arische“ Grossartigkeit in groben Zügen darstellte. Sein Rasse und Persönlichkeit (1925) beeinflusste Hitler unmittelbar. Er war ein Bewunderer Wagners und schrieb 1892 Notes sur Lohengrin. Eine Biographie des Komponisten folgte 1895. 1907 liess er sich in Bayreuth nieder und heiratete Wagners einzige Tochter Eva.

[22] Ähnliche Ansichten durchdringen die Rezeption klassischer Musik auch weit ausserhalb Österreichs. Die Musikwissenschaftlerin Pamela L. Potter vermutet, dass dies mit den spurenhaften, unbewussten Vorstellungen von der germanischen kulturellen Überlegenheit zusammenhängt. Siehe Pamela L. Potter, Most German of the Arts (New Haven: Yale University Press, 1998) S.  260.

[23] Für eine nützliche Diskussion dieser Autoren siehe: Peter Pulzer, Germany, 1870-1945: Politics, State Formation, and War (Oxford University Press, 1997)

[24] In Wirklichkeit schliesst das Orchester bewusst Menschen zahlreicher zentraleuropäischer Länder aus, besonders der nicht deutschsprachigen.

[25] Carl Dalhaus hat den Dirigenten als halb Feldmarschall, halb Zauberer beschrieben: „In der imperialen Geste des Kapellmeisters steckt die Gebärde des Feldherrn, der über seine Truppen gebietet, und zugleich des Zauberers, der ein Wunderreich, E.T.A. Hoffmanns Dschinnistan, beschwört.“

[26] Was Dirigenten in den Schulen der USA betrifft, so fand Christina McElroy heraus, dass am Ende ihrer von 1984-1994 weilenden Studie: 97,7 % der professors männlich waren; 95,5 % aller associate professors männlich waren; 91,3 % aller assistant professors männlich waren. Siehe: Christina McElroy, „The Status of Women Orchestra and Band Conductors in North American Colleges and Universities: 1984-1996“ (#9717189, UMI)

[27] Jörg Eggebrecht, “Reise ins Herz,” Philharmonische Blätter, 91/92 Jahrgang 7, Heft 6, S.14 (Februar/März 1992.)  Maestro Celibidache verriet mehr über die Natur dieser „vaterlosen Gesellschaft“ als ihn ein Interviewer einmal über seine Meinung zu Musikkritikern befragte: „Diese Leute, die taglich alles vergiften, sollten einmal pausieren oder über Gynakologie schreiben.  Auf dem Gebiet hat doch jeder ein bisschen Erfahrung.  Aber in der Musik sind sie Jungfrauen.  So bleiben sie, so gehen sie auch in die andere Welt hinüber, nie von einem wirklich erlebten Klang befruchtet.   Hans Richard Stracke, “Kritiker sind Flaschen mit Sauerkraut-Ohren”, Abendzeitung Munchen, November 10, 1984.

[28] Juliet Flower MacCannell argumentiert, dass Faschismus nicht patriarchalisch ist oder nichts mit dem Vater zu tun hat, sondern mit fantasmischem Fraternismus. Siehe: Juliet Flower MacCannell,The Regime of the Brother: After the Patriarchy (London and New York: Routledge, 1991). In seinem Buch Männerphantasien. Zur Psychoanalyse des weißen Terrors (München, 1995) untersucht Klaus Theweleit die Rolle der deutschen Männerbündeleien bei der Entwicklung des Faschismus. Der Holocaustforscher Daniel Goldhagen beschreibt in Hitler’s Willing Executioners (New York: Alfred A. Knopf, 1996) auf S. 248 wie eine Gruppe von Soldaten im Polizeibattalion der Wehrmacht, die regelmässig Völkermordsaktionen durchführte, plötzlich moralische Konflikte wegen ihrer Handlungen verspürten, als einer der Ehefrauen der Offiziere anwesend waren.

[29] In seinem Buch Noise: The Political Economy of Music (Manchester University Press, 1985) führt Jacques Attali an, dass Musik wiederholt die ökonomischen Entwicklungen der Gesellschaft vorausgenommen hat. Für eine höchst lesbaren und faszinierende Darstellung des Weges vom Europa des 19. Jahrhunderts in den Ersten Weltkrieg siehe: Barbara Tuchman, The Proud Tower (New York und London: The Macmillan Company, 1966)

[30] Es gab weitere Gründe für die Vergrösserung des Orchesters, wie die Schaffung von Tondichtungen, die die Weite der Natur darstellten; doch auch diese Tongemälde enthielten oft nationalistische Untertöne, wie in Strauss’ „Alpensymphonie“

[31] Informationen über die nationalsozialistische Verwendung der Berliner Philharmoniker und des Brucknerorchesters  können gefunden werden in: Fred K. Prieberg: Musik im NS-Staat, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1982). Die Münchner Philharmoniker waren als „Das Orchester der Hauptstadt der [faschistischen] Bewegung“ bekannt und stempelten all ihr Notenmaterial mit diesen Worten, die um einen ein Hakenkreuz haltenden Adler geschrieben sind. 1991 musste ich zwei Briefe an die Münchner Kulturbehörde schreiben, damit die Hakenkreuze von den alten, noch regelmässig benutzten Noten entfernt wurden.

[32] „Kulturrede beim Reichsparteitag 1933 in Nürnberg,“ Baustein zum Nationaltheater I/3 (Dezember 1933) S. 67

[33] Thomas Mann war einer der ersten, der bemerkte, das Hitler sich als mythenschaffender Künstler präsentierte. Wie zitiert in: Gordon Craig, The Germans (New York: Meridian Books, 1982) S. 67

[34] In Die Welt als Wille und Idee (1819) und anderen einflussreichen Schriften, die darauf folgten, erschuf Arthur Schopenhauer eine Philosophie, die sich dafür einsetze von Geist und Vernunft weg sich den Kräften von Intuition, Kreativität und dem Irrationalen hinzugeben. Diese Meinung hatte grossen Einfluss auf Nietzsche, der in Die Geburt der Tragödie (1872) verkündete, dass Kunst und Literatur sich die Dionysischen Elemente des Irrationalen aneignen müssten, um existieren zu können. Diese Sichtweise führte zu dem radikalen Willen von Nietzsches Übermenschem in Also sprach Zarathustra. Schopenhauer und Nietzsche beeinflussten wiederum das deutsche Kulturreich von Wagner und Pfitzner bis zu Wedekind und Freud. Die gestohlene Idee vom Radikalen Willen wurde Teil des faschistischen Heldenkultes und beeinflusste Handlungen, die als das Radikale Böse bezeichnet werden könnten. Siehe auch: Joan Copjec, Hrsg., Radical Evil (London and New York: Verso, 1996).

[35] In seinem Buch Adolf Hitler (New York: Doubleday, 1976) S. 22 gibt John Toland den Bericht eines Augenzeugen wieder, der sah, wie Hitler selbst als junger Mann in eine Art Trance verfiel, als er zum ersten Mall Rienzi hörte, und anfing, von seiner ihm bevorstehenden Mission zu reden. Auf den Seiten 35 und 36 wird berichtet, dass Hitler mehrere Wochen an einem Opernlibretto basierend auf Wieland der Schmied arbeitete, nachdem er von den Skizzen zu einem Musikdrama darüber in Wagners posthum entdeckten Papieren erfahren hatte. In seiner Einleitung zur Übersetzung von Mein Kampf schreibt Ralph Manheim, dass die Hauptquelle von Hitlers Lieblingsphrasen das Theater und die Oper waren. Hitler war Stammgast in Bayreuth und eine persönliche Wohnstätte wurde für ihn auf dem Grundstück erbaut. Sie steht immer noch dort.

[36] Gleichschaltung war die Politik, alle kulturellen, intellektuellen und gesellschaftlichen Aktivitäten im Dritten Reich mit den Ideologien des Nationalsozialismus in Gleichklang zu bringen.