Symphonieorchester
und Künstlerpropheten: Kultureller Isomorphismus und die Machtverteilung in
der Musik
Veröffentlicht im Leonardo
Music Journal (Vol.9,1999) M.I.T.Press Von William
Osborne
Die geschlechts- und rassebezogene Weltanschauung der Wiener Philharmoniker Die Beschlagnahme der Wiener Philharmoniker als nationalsozialistisches Propagandainstrument Kultureller Isomorphismus und Symphonieorchester Die Alleinherrschaft des Dirigenten und die Objektivierung des Musikers Die Verreinnahmung des Orchesters als Abbild des totalitären Kulturnationalismus Die ideologischeVereinnahmung des Bildnis vom Künstlerpropheten Das Aussterben des Künstlerpropheten in der postmodernen Welt
Die Wiener Philharmoniker sind das Musterbeispiel eines
Symphonieorchesters. Kein anderes Orchester der Welt war so eng verbunden mit
den Komponisten und den kulturellen Entwicklungen, die das Genre bestimmt
haben. Die
Wiener Philharmoniker, die auch als das Orchester der Wiener Staatsoper
fungieren, haben traditionell Frauen, und Menschen, die sichtbar Mitglieder
ethnischer Minderheiten sind, die Mitgliedschaft verweigert, in dem Glauben,
dass geschlechtliche und ethnische Einheitlichkeit künstlerische Überlegenheit
mit sich bringt. Erst letzen Februar, nach langen weltweiten Protesten, wurde die erste nicht-Harfe-spielende Musikerin in das Orchester der Wiener Staatsoper aufgenommen –eine Vorraussetzung für ihre spätere Mitgliedschaft bei den Philharmonikern. Somit liefern die Wiener Philharmoniker/Staatsoper Orchester eine interessante Fallstudie zur Machtverteilung in der westlichen Kunstmusik. Heute Abend zeigen wir die Anschauungen des Orchesters auf und verbinden sie mit der allgemeinen Theorie, daß die Machtverteilung in einer künstlerischen Ausdrucksform oftmals kulturell isomorph ist mit den größeren Werten der Gesellschaft in der diese Ausdrucksform vorkommt. Daraufhin diskutieren wir wie kultureller Isomorphismus die Konzepte von Machtverteilung in modernen und postmodernen Gedankenformen beeinflußt. Die geschlechts- und
rassebezogene Weltanschauung der Wiener Philharmoniker Zur Zeit findet sich nur eine
Frau in den Reihen der Wiener Philharmoniker: Anne Lelkes, zweite Harfe.
Nachdem sie 26 Jahre lang unoffiziell mit dem Orchester gespielt hatte, wurde
ihr 1997 die Mitgliedschaft erteilt, um die weltweiten Proteste gegen das
sexistische Verhalten des Orchesters einzudämmen. Seitdem hat das
Staatsopernorchester eine zweite weibliche Harfe und eine tutti-Bratschistin
engagiert. Nach eine dreijährigen
Probezeit im Staatsopernorchester besteht für diese Musikerinnen dann die Möglichkeit
zu Philharmonikerinnen ernannt zu werden.
Eine tutti-Bratschistin klingt zwar wie Fortschritt, wenn auch wie ein
sehr später und langsamer. Doch
1998 wurde eine hochqualifizierte Kandidatin, Gertrude Rossbacher, in Wien
geborenes und an der Wiener Musikhochschule ausgebildetes Mitglied der
Berliner Philharmoniker, vom Probespiel für eine Solobratschenstelle
ausgeschlossen[1]. Es scheint als ob eine tutti-Bratschistin
als Alibi-Frau zur Zeit hinnehmbar ist, während eine Frau als Solobratschistin
immer noch undenkbar bleibt. (Artikel
der Los Angeles Times.) Helmut Zehetner, Mitglied der zweiten Geigen, merkte in
einem Interview des Westdeutschen Rundfunks an, daß das Orchester als ein
rein männliches Ensemble über eine „emotionale Einheit“ verfügt, die
seinem Spiel die überragenden Qualitäten verleiht. (Ganze
Interview.) Auf die Frage nach der möglichen Aufnahme von Frauen in das
Orchester antwortete er: "Wir haben einen männlichen
Harfenisten und zwei Damen. Wenn Sie fragen, wie weit das Geschlecht spürbar
wird bei diesen Kollegen, ist meine persönliche Erfahrung, dass die Harfe so
weit am Rand des Orchesters sitzt, dass
für mich diese emotionale Geschlossenheit, die ich sehr stark empfinde, wenn
das Orchester so bei einer Mahler-Sinfonie zum Beispiel voll zum Kochen anfängt,
nicht gestört ist. Da empfinde ich schon sehr stark, dass rund um mich
einfach Männer sitzen, und wie gesagt, diese Geschlossenheit möchte ich
nicht aufs Spiel setzen[3]." "Wir haben vorhin vom
speziell Wienerische gesprochen, von dieser Art hier zu musizieren. Und das
ist für mich auch ein Indiz, dass eben die Art, wie hier musiziert wird,
nicht nur ein technisches Können ist, sondern sehr viel mit der Seele zu tun
hat, und die Seele lässt sich einfach nicht trennen von den kulturellen
Wurzeln, dass wir hier im mitteleuropaeischen Raum sind, und sie laesst sich
auch nicht vom Geschlecht trennen.
Also wenn man der Ansicht ist, dass die Welt nach Quotenregelungen
funtkionieren sollte, dann ist natürlich die Tatsache, dass wir hier eine
Gruppe von weisshäutigen männlichen Musikern sind, die ausschliesslich
weisshäutige, männliche Komponisten aufführen, ein rassistisches und
sexistisches Ärgernis, das muß man, glaube ich, so sagen. Wenn man jetzt mit
einer oberflächlichen Gleichmacherei kommt, verliert man ganz Wesentliches
daran. Deshalb bin ich der Überzeugung, daß es wert ist, dieses rassistische
und sexistische Ärgernis zu akzeptieren, weil etwas heruauskommt, was meiner
Meinung nach nicht im selben Mass herauskommen würde, wenn man das jetzt nach
falschverstandenen Menschenrechten ändern würde[4]." Neben der vermeintlich von geschlechtlicher und rassischer
Einheitlichkeit hervorgebrachten ästhetisch-künstlerischen Reinheit,
verwehren die Wiener Philharmoniker auch denjenigen Menschen die Aufnahme, die
offensichtlich einer ethnischen
Minderheit angehören, denn sie haben das Gefühl, das solche Personen das
Image des Orchesters als authentischen Repräsentanten österreichischer
Kultur beschädigen könnten. Diese auch von anderen österreichischen
Orchestern vertretene Ansicht, wurde von Dr. Elena Ostleitner vom
musiksoziologischen Institut der Wiener Musikhochschule dokumentiert. Sie hat
folgende Aussage einer Asiatin aufgezeichnet: "Ich habe mich bei einem Orchester beworben, führte
mit der Punkteanzahl, solange noch hinter dem Vorhang gespielt wurde.
Aufgrund meines Namens war nicht ersichtlich, daß ich Asiatin bin.
Als der Vorhang dann fiel, wurde ich kommentarlos abgewiesen.
Freunde im Orchester haben meine Vermutung bestätigt.
Sie nehmen keine Ausländer, und wenn, dann nur jene, denen man es
nicht ansieht[5]." "Es ist ja eines
interessant, was mir aufgefallen ist, dass die Philharmoniker ja auch nicht
aufnehmen würden so Japaner oder so. Würden sie auch nicht aufnehmen, weil
das würde dann irgendwie äusserlich den noblen Charakter einer Wiener Kultur
hinterfragen. Ein Japaner passt nicht nach Wien. Das hat nichts Rassistisches
jetzt[6]." In seinen 1970 veröffentlichten Erinnerungen beschreibt
Otto Strasser, der ehemalige Vorstand der Wiener Philharmoniker, die Probleme,
die durch hinter dem Vorhang abgehaltene Probespiele entstanden sind: "Für unrichtig halte ich, daß der Bewerber heute hinter einem Vorhang spielt; eine Einrichtung, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingefürht wurde, um eine objektive Beurteilung zu gewährleisten. Ich habe dagegen, besonders als ich später Vorstand der Philharmoniker wurde, stets angekämpft, weil ich der Überzeugung bin, daß zum Künstler auch der Mensch gehört, den man nicht nur hören, sondern auch sehen muß, um ihn in seiner gesamten Persönlichkeit beurteilen zu können. [...] Sogar eine Groteske, die sich nach meiner Pensionierung abspielte, hat keine Änderung bewirkt. Ein Bewerber qualifizierte sich als Bester, und als sich der Vorhang hob, stand ein -- Japaner vor der verdutzten Jury. Den engagierte man dennoch nicht, weil sein Gesicht nicht zum Neujahrskonzert und zur Pizzicato-Polka gepaßt hätte...[7]." Von ähnlichen Ansichten wurde in einer Radiosendung des
ORF berichtet. Ein Lehrer, der seine Schulklasse zu einer Probe der Wiener
Philharmoniker gebracht hatte, erzählte, daß ein Mädchen aus der Klasse
gefragt hat, wieso denn nur Männer im Orchester seien. Werner Resel, der
damalige Orchestervorsitzende, hatte geantwortet, daß die „Wiener
Philharmoniker ein Orchester von weißen männern [seien], die von weißen Männern
geschriebene Musik für weiße Männer [spiele]“[8]. Alle dieser Äusserungen stammen
hauptsächlich aus der Mitte der neunziger Jahre und basieren auf langen
Traditionen. Es ist also eher unwahrscheinlich, dass diese damals
vorgebrachten Meinungen jetzt plötzlich verschwunden oder revidiert sind. Unter den zentraleuropäischen Symphonieorchestern, stehen die Wiener Philharmoniker was den Ausschluß von Frauen betrifft, durchaus nicht alleine da. In einem Umkreis von 500 Kilometern befinden sich sieben große Orchester, deren Frauenquote unter 10 bis 12% beträgt, wie aus der Tabelle ersichtlich ist[9]:
[Editorial note 2005. For the
latest representation of women, click here. Progress
has been made, but most of the new women employs remain in the tutti
strings. Few have achieved solo positions.] Wieso haben Symphonieorchester einen solch strengen
Geschlechtskodex? Wieso werden sie oft mit starkem Kulturnationalismus
assoziiert? Wieso werden sie überhaupt noch aufrecht erhalten? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen wir zuerst einen Blick auf dEie Aktivitäten der Wiener Philharmoniker während und nach dem 2. Weltkrieg werfen und diese dann in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang bringen. Dies wird zeigen, daß die aktuelle Ausschlußpolitik der Institution Wiener Philharmoniker das Ergebnis längerfristiger geschichtlicher und kultureller Tendenzen ist.
Die
Beschlagnahme der Wiener Philharmoniker als nationalsozialistisches
Propagandainstrument Wegen ihrer langen rassenideologischen Tradition konnten
die Wiener Philharmoniker leicht in Beschlag
genommen und zu einem der aktivsten Orchester bei der Unterstützung
des Nationalsozialismus gemacht werden. 1938 wurde Österreich durch den Anschluss
ein Teil Großdeutschlands, was von weiten Teilen der österreichischen Bevölkerung
euphorisch begrüßt wurde. Ein Programm zur Arisierung der österreichischen
Kultur wurde angekurbelt und somit wurde Wilhelm Jerger, ein Kontrabassist im
Orchester und SS-Leutnant Vorstand der Wiener Philharmoniker. 47% der Orchestermitglieder waren Nationalsozialisten,
viele davon schon vor 1938, also als die Partei in Österreich noch gesetzlich
verboten war[10]; sechs jüdische Orchestermitglieder starben in
Konzentrationslagern, und 11 weitere konnten sich durch rechtzeitige
Auswanderung retten; zusätzliche neun wurden für „mischrassig“ oder
„versippt“ befunden und im Orchester heruntergestuft[11]. All dies beweist
eindeutig die starken faschistischen Neigungen des damaligen Orchesters. Die zahlreichen dem Nationalsozialismus dienenden Aktivitäten
begannen wenige Tage nach dem Anschluss Österreichs mit einem Abstecher nach
Berlin für ein speziell für Hitler gegebenes, von Wilhelm Furtwängler
geleitetes Konzert. Die Anschlussfeierlichkeiten
wurden beim Reichsparteitag von 1938 in Nürnberg mit Aufführungen der
„Meistersinger“, wiederum unter Furtwängler, fortgesetzt. Hitler war über
die Leistung und Hingabe des Orchesters so erfreut, daß er ihm persönliche
Protektion und Fürsorge versprach und zu einer festen Institution der jährlichen
Nürnberger Parteitage machte[12].
Das Orchester tourte darüberhinaus durch die besetzten Gebiete wo die
„Germanisierung“ der eroberten Bevölkerung als absolut wichtig erachtet
wurde. So spielten die Wiener u.a. in Krakau, Kopenhagen, Den Haag, Amsterdam,
Paris und Dijon. In dieser und in vielen anderen Funktionen wurde das
Orchester zu einem der wichtigsten Propagandainstrumente der Partei. Aus Anlass des hundertsten Geburtstags der Wiener
Philharmoniker 1942 erschien Wilhelm Jergers Schrift Erbe und Sendung.
Das Buch zeigt wie hervorragend die Ideologien des Orchesters sich zur
Vereinnahmung durch die Nazis eigneten. Es enthält die Stammbäume einiger
prominenter Vater-Sohn-Generationen, die eine historische Kontinuität in den
Reihen der Philharmoniker formten. Der
Name jedes Nicht-Ariers, der in der Tabelle aufgeführt war, wurde mit einem
speziellen Sternchen gekennzeichnet war.
Jerger führte an, dass der arische Stamm dieser Familien
dermassen „stark“ war, dass die Reinheit ihres „Blutes“
unter keiner genetische degeneration gelitten hat. Ich zittiere: "Un da zeigte sich, daß
trotz mannigfacher anderwärtiger Bluteinflüsse sich dieser Geist mit großer
Zähigkeit durch die Geschlechterreihen forterbt, oftmals sehr scharf ausgeprägt.
Es ist begreiflich, daß eine solche Art von Vererbung hervorragende
Musiker erzeugen muß, die auch in ihrer stilistischen Bildung, im Erfharungmäßigen
des Orchesterspiels schon von der Familie her außerordentlich geschult sind.
Das ist Geist vom alten Geist, da hilft Tradition, Vererbung, überkommene
Anlage zu einer besonderen Entwicklung und Erfüllung[13]." Ausbildung wird als wichtig angesehen, allerdings nur im
Zusammenhang mit speziellem Bluterbe, welches den „Geist“ überträgt.
Dies geht einher mit der nationalsozialistischen These vom Ahnenerbe, die behauptet, daß kulturelle Wesenszüge ererbt werden.
Und es besteht eine unheimliche Ähnlichkeit mit den jüngeren Aussagen des
Orchesters über die besonderen Qualitäten der „zentraleuropäischen
Seele“, seine Einstellung zu Asiaten und die Idee vom Musizieren im Kreise
weißhäutiger Männer. Jerger zeichnet auch ein rassistisches Potrait Gustav
Mahlers, der 1898 Generalmusikdirektor der Philharmoniker wurde, nachdem Hans
Richter das Orchester 23 Jahre vor ihm geleitet hatte. (Die Wiener
Philharmoniker betrachten die Richter-Ära als ihr „Goldenes Zeitalter“.)
Mahlers Amtszeit wurde von regelmässigen antisemitischen Belästigungen überschattet,
und auch zum Teil deswegen verliess er das Orchester nach drei Jahren. Mit
seinen eigenen Worten sowie Zitaten des Kritikers Max Kalbeck bringt Jerger
einen Vergleich zu Papier, der die antisemitische Einstellung, mit der Mahler
konfrontiert wurde, zum Vorschein bringt: "Ein völlig anders
geartete Persönlichkeit zog mit Mahler ein,'als da' --um mit Max Kalbechs
anschaulichen Worten zu sprechen-- 'anstatt des hochgewachsenen blondbärtigen
Hünen, der sich wie ein unerschütterlicher festgemauerter Turm breit und
ruhig vor das Orchester hinlagerte, ein schlanke, nervöse, mit außerordentlich
gelenkigen Gliedmaßen begabte Gestalt über das Podium balanacierte.' In der
Tat, ein größerer Gegensatz war ja wirklich nicht möglich. Dort der patriarchalishce Hans Richeter in seiner Behäbigkeit
und Güte und seiner überaus herlichen und kollegialen Verbundenheit mit dem
Orchester, und hier der ganz auf neue Sachlichkeit gestellte Gustav Mahler
--nervös, hastig, zerfarhen, intellektualistsch--, dem Musik eine reine
Angelegenheit seines überzüchteten Verständnis war[14]." Die Denazifizierung der Wiener Philharmoniker in der
Nachkriegszeit wurde in einer desinteressierten, halbherzigen und nachlässigen
Weise ausgeführt. Das Orchester argumentierte mit der einzigartigen Logik,
dass es bereits durch „Arisierung“ soviel verloren hatte, dass es sich
kaum leisten könne, durch „Denazifizierung“ noch mehr Qualität einzubüßen.
Die Regierung äußerte „für diese Lage volles Verständnis“ dazu und
schrieb: Diese laxe Denazifizierung hatte Auswirkung auf die
Politik des Orchesters. Als Arturo Toscanini 1947 gefragt wurde, ob er die
Philharmoniker dirigieren würde, lehnte er wegen der noch im Orchester
befindlichen Nazis ab und räumte ein, dass er seine Meinung nur dann ändern
würde, wenn gewisse Faschisten aus dem Ensemble entfernt würden. Die Wiener
Philharmoniker lehnten dies ab[16]. 1949 beschlossen die Philharmoniker per Abstimmung eine
Lohnkürzung, um dem Komponisten Hans Pfitzner eine Wohnung, eine Rente und
einen Chaffeur zu finanzieren, obwohl Pfitzner einer der aktivsten
antisemitischen Sprecher der Musikwelt des Dritten Reiches gewesen war[17].
Unter anderem hatte er das Regime bei ethnischen Säuberungen beraten. Die
Philharmoniker ernannten ihn ausserdem zum Ehrenmitglied. Das Orchester erregte weltweite Aufmerksamkeit als es 1953
einen ehemaligen SS –Feldwebel zum Vorstandsvorsitzenden ernannten[18].
Trotz ihrer hohen Musizierkunst hatten dank dieser Aktionen die Wiener
Philharmoniker Schwierigkeiten, den Ruf vom „Nazi-Orchester“ wieder
loszuwerden. Obwohl die Wiener Philharmoniker bei ihren Mitgliedern
geschlechtliche und ethnische Einheitlichkeit bewahren, gewähren sie fremden
Einfluß durch Gastdirigenten und Solisten. Sie haben herausgefunden, dass es
sich lohnt, immer wieder bewusst diese Gäste zu benutzen, um das Image des
Orchesters in der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Zur gleichen Zeit wird still und heimlich nach wie vor Frauen
und Menschen, die offensichtlich einer ethnischen Minderheit angehören, die
ordentliche Orchestermitgliedschaft verwehrt. Dies hat sich als effektives
PR-Mittel erwiesen, um eine Veränderung zu verhindern.
Es passt auch perfekt ins Bild soziologischer Modelle, die vorschlagen,
dass isokratische Gruppen kontrollierte Beziehungen mit Aussenseitern
eingehen, um zugleich ihren Ruf und ihren Status zu verbessern. Eine Studie der Wiener Philharmoniker zeigt, dass ihre Ideologien es erlaubten, Ansichten, die in Deutschland und Österreich schon Jahrzehnte vor dem Anschluss Österreichs gang und gäbe waren, zu konzentrieren und zu institutionalisieren, und dass dies die Philharmoniker zur willkommenen und willigen Zielscheibe für eine nationalsozialistische Vereinnahmung gemacht hat. Was sind diese „rassistischen und sexistischen Ärgernisse“, die ein wesentlicher Teil des „noblen Charakters der Wiener Kultur“ sind, und wieso wird von uns verlangt, dass wir sie tolerieren? Wieso ist es wichtig, dass „weisse Männer Musik von weissen Komponisten für weisse Menschen spielen“? Wieso würden die Wiener Philharmoniker durch andersrassig aussehende Mitglieder wie Asiaten beschädigt werden? Was meinen sie mit „Seele“ und warum ist diese von Rasse und nicht nur von Erziehung beeinflusst? Und wieso finden sich diese Wertvorstellungen auch in anderen Symphonieorchestern, wenn auch weniger offensichtlich? Kultureller Isomorphismus und
Symphonieorchester Wir können diese Fragen beantworten, indem wir das
Orchester an sich von einer grösseren geschichtlichen und kulturellen
Perspektive aus betrachten. Eine solche Untersuchung unterstellt, dass das
Symphonieorchester kulturell isomorph ist mit den Werten der europäischen
Gesellschaft, in der es sich entwickelt hat. Mit kulturellem Isomorphismus
meine ich die Prozesse, in denen künstlerische Ausdruckmittel dazu tendieren,
die allgemeinen kulturellen und soziopolitischen Überzeugungen ihrer Umgebung
zu reflektieren. Soziologen haben in den letzten Jahren zahlreiche Modelle von
Institutions-Umgebungs-Isomorphismus dargestellt, die für genau diese Art von
historischer Untersuchung sehr nützlich sein könnten[19]. Es ist zum Beispiel relativ offensichtlich, dass das Vermächtnis
des Feudalismus die europäische Kultur weit bis ins 19. Jahrhundert hinein
beeinflusst hat, und dass die patrizischen, autokratischen und hierarchischen
sozialen Strukturen des modernen Symphonieorchesters noch von ihm durchdrungen
sind[20]. Als einfaches Anschauungsbeispiel dafür dient die Konzertkleidung.
Im 18. Jahrhundert glich der Status der Orchestermusiker, die von Aristokraten
angestellt waren, dem der Dienstboten. Bis
zum heutigen Tage tragen männliche Orchestermusiker den Frack, da er die übliche
Kleidung der Diener war. Es ist ebenfalls offensichtlich, dass Aristokraten die
kulturelle Schirmherrschaft hatten, und dass somit die Kunst, die sie förderten
ihre Vorstellungen von Stellung, Macht und patrizischer Identität
reflektierte. Europäische Kunst tendierte daher stets dazu, eine kulturell
isomorphe Weltanschauung von überirdisch gerechtfertigter Selbsherrlichkeit
erkennen zu lassen. Von der Krone Karls des Grossen über den Versailler
Palast des Sonnenkönigs bis zur den britischen Kolonialismus glorifizierende
Literatur, der Zweck europäischer Kunst war es oft, die Macht und Autorität
derjenigen zu zelebrieren und zu stärken, die sich selbst für die Empfänger
einer gottgegebenen Überlegenheit hielten. Im 19. Jahrhundert wurden das Konzept der ererben Überlegenheit des Adels vom Bürgertum vereinnahmt und in Theorien von ethnisch bedingter Vormachtstellung und kulturellem Nationalismus verwandelt[21]. Diese –sowohl aristokratischen als auch nationalistischen- Ansichten-- formulierten das Erbe höchst traditionsreicher Orchester wie der Wiener Philharmoniker. Sie illustrieren, weshalb deren Vorstand das Orchester öffentlich als „weisse Männer, die Musik weisser Komponisten für ein weisses Publikum“ spielen bezeichnet hat –besonders in einem sehr konservativen, monokulturellem Land wie dem postimperialistischen Österreich[22].
Eine der bedeutenten Ideologen der Überlegenheit der deutschen Rasse war Houston Stewart Chamberlain, dessen Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts (1899) die „arische“ Grossartigkeit in groben Zügen darstellte. Sein Rasse und Persönlichkeit (1925) beeinflusste Hitler unmittelbar. Er war ein Bewunderer Wagners und schrieb 1892 Notes sur Lohengrin. Eine Biographie des Komponisten folgte 1895. 1907 liess er sich in Bayreuth nieder und heiratete Wagners einzige Tochter Eva. Der Aufstieg des Kulturnationalismus im 19. Jahrhundert
hatte tiefschürfende Auswirkungen auf das Kaisserreich Österreich-Ungarn,
die damit begannen, dass mehrere im Reich integrierte Völkerschaften ihr
eigenes nationales Selbstbewusstsein entwickelten, darunter das Wiederaufleben
slawischer, italienischer und deutscher Kulturen. Durch die Schriften
Emanuel Kants und seiner Anhänger (Fichte, Hegel, Schopenhauer und Nietzsche
seien genannt) wurde dieser Nationalismus mit einem transzendentalen
Idealismus durchdrungen, der die Vorrangstellung des Spirituellen und
Intuitiven vor dem Materiellen und Empirischen betonte[23]. Diese Ideen beeinflussten auch die damalige Musik sehr
stark und führten zu einem kulturellen Ideal, das bezeichnet werden könnte
als der Künstlerprophet, ein überirdisch inspirierter Künstlerheld der als
die Stimme „seiner“ Nation sprach. Komponisten wie Wagner, Dvorak und
Verdi erfüllten diese Rolle und halfen den sich herausbildenden europäischen
Ländern, ihre ethnische Identität und ihre nationalstaatlichen Aspirationen
zu behaupten. Der ultimative Ausdruck dieser Ästhetik war wahrscheinlich
Bayreuth, das mit einem Tempel verglichen werden kann, in dem nationale Mythen
und Bräuche quasireligös zelebriert werden. Die Wiener Philharmoniker wurden 1842 gegründet um gerade diese neue Genre symphonischer Musik zu präsentieren. Von Anfang an waren die Grundsätze des Orchesters somit beeinflusst von dem Gespenst nationalen und patrarchalischen ethnischen Selbstbewusstseins, das zu dieser Zeit überall umging. Die Idee der überirdisch gerechtfertigten nationalistischen Monokultur begann, das Prinzip der ethnischen Einheitlichkeit im Orchester zu erfüllen. Dieses Vermächtnis des 19. Jahrhunderts zeigt sich noch heute, wenn die Wiener Philharmoniker von ethnischer Reinheit und den transzendentalen Qualitäten der „zentraleuropäischen“ „Seele“ sprechen[24].
In Die Welt als Wille und Idee (1819) und anderen einflussreichen Schriften, die darauf folgten, erschuf Arthur Schopenhauer eine Philosophie, die sich dafür einsetze von Geist und Vernunft weg sich den Kräften von Intuition, Kreativität und dem Irrationalen hinzugeben. Diese Meinung hatte grossen Einfluss auf Nietzsche, der in Die Geburt der Tragödie (1872) verkündete, dass Kunst und Literatur sich die Dionysischen Elemente des Irrationalen aneignen müssten, um existieren zu können. Diese Sichtweise führte zu dem radikalen Willen von Nietzsches Übermenschem in Also sprach Zarathustra. Schopenhauer und Nietzsche beeinflussten wiederum das deutsche Kulturreich von Wagner und Pfitzner bis zu Wedekind und Freud. Die gestohlene Idee vom Radikalen Willen wurde Teil des faschistischen Heldenkultes und beeinflusste Handlungen, die als das Radikale Böse bezeichnet werden könnten. Siehe auch: Joan Copjec, Hrsg., Radical Evil (London and New York: Verso, 1996).
Die
Alleinherrschaft des Dirigenten und die Objektivierung des Musikers Der Aufstieg des Nationalismus
im Symphonieorchester entwickelte sich zusammen mit der immer stärker
werdenden Alleinherrschaft des Dirigenten, welche wiederum isomorph war mit
dem konnterrevolutionären Autoritarismus der sich nach der Niederschlagung
der Aufstände von 1848 entwickelt hatte. Genau wie Komponisten wurden
Dirigenten nach und nach als Künstlerpropheten angesehen während die
Orchestermusiker immer mehr objektiviert wurden. Musiker wurden zu höchst
aufmerksamen Maschinen,
musikalischen Gedankengebäuden, zu
Fantasien, entsprungen dem Dirigentenhirn. Einer der ersten grossen allmächtigen Dirigenten, Carl
Maria von Weber, tauchte zu dieser Zeit auf. Er sagte der junge Wagner, "Nicht Kaiser und nicht König, aber so
dastehen und dirigieren[25]." Die Idee vom Kaiserdirigenten hat bis heute
überlebt, und noch immer werden manchen modernen Maestros transzendentale,
offenbarende Kräfte zugesprochen, oft in Verbindung mit ihrer Maskulinität[26].
1992 enthielt das Programmheft der Münchner Philharmoniker die folgende
Beschreibung ihres Generalmusikdirektors: "Sergiu Celibidache ist ein
außerordentlicher Europäer, so eindrucksvoll, weil in ihm eine unverstellt
maskuline Strahlung zum Ausdruck kommt, die nicht korrumpierbar ist.
Und dieses hat die Welt sehr notig, denn wir leben in einer vaterlosen
Gesellschaft, einer Welt ohne Maßstäbe in diesem Punkt.
Und da ist ein solcher Mann, der sich nicht korrumpieren ässt und der
ganz offen zum Ausdruck bringt – gerade wahrend des Konzertes -, was in ihm
vorgeht, natürlich eine tiefbewegende Erscheinung.
Zuhörer und Auführende können mit ihm Musik noch als Offenbarung
erleben[27]." Das ist es, das Vermächtnis vom Künstlerpropheten, die Musik als „Offenbarung“ einer „ungehinderten maskulinen Aura“ in einer „vaterlosen Gesellschaft“[28]. Die Verreinnahmung des Orchesters als
Abbild des totalitären Kulturnationalismus Am Ende des 19. Jahrhunderts war das Symphonieorchester
somit isomorph geworden mit der nationalistischen und industriellen Weltsicht
der damaligen Zeit[29]. Das Orchester wuchs und es wurden immer grössere
Gruppen von Musikern verwendet, um Partituren zu spielen, die rassisch
bestimmte nationalistische Ideen entzündeten, geleitet von Dirigenten, die
eine Form von diktatorischer Macht besassen wie sie die Musikwelt noch nie
vorher zu Gesicht bekommen hatte[30]. Im postrevolutionären Deutschland und
Östereich waren autokratische Wertvorstellungen ebenso gefährlich verbreitet
wie der chauvinistische Nationalismus der Zeit und—durch den Prozess
kulturellen Isomorphismus—waren sie immer mehr auch in den
Symphonieorchestern zu finden. Somit erscheint es als wahrscheinlich, dass auf
unbewusster und metaphorischer Ebene, die symbolischen Rituale des
Symphonieorchesters des 19. Jahrhunderts einen weiteren kulturellen Faktor auf
dem fatalen Weg der europäischen Psyche zum Nationalsozialismus darstellten. Dies erklärt vielleicht, wieso in den 30er Jahren nicht
nur die Wiener Philharmoniker, sondern auch andere Ensembles wie die Berliner
und Münchner Philharmoniker zu wichtigen Propagandainstrumenten zur Bestätigung
der Nationalsozialistischen Weltanschauung wurden[31]. Die überirdisch gerechtfertigte Autorität des
Symphonieorchesters, menschliche Objektivierung und kultureller Nationalismus
machten es zu einem nützlichen kulturellen Symbol, das als Abbild der
nationalsozialistischen Ideologie fungieren konnte. Wie Hitler bemerkte: Die Kunst ist eine erhabene und zum Fanatismus
verpflictende Mission. Wer von
der Vorsehung ausersehen ist, die Seele eines Volkes der Mitwelt zu enthüllen,
sie in Tönen klingen oder in Steinen sprechen zu lassen, der leidet unter der
Gewalt des allmächtigen, ihn beherrschenden Zwanges, der wird seine Sprache
reden, auch wenn die Mitwelt ihn nicht versteht oder verstehen will, wird
lieber jede Not auf sich nehmen, als auch nur einmal dem Stern untreu zu
werden, der ihn innerlich leitet[32]. Symphonische Musik wurde für die deutscheste aller Künste gehalten, und die
Menschen waren schon lange konditioniert, zu glauben, dass ihre Künstlerpropheten
„unter der Macht des Allmächtigen“ leiden, und dass sie
über der profanen Welt in einer „hohen Mission“ waren, um „die
Seele der Menschen zu offenbaren“—eine Mission, mit der des Führers
kulturell isomorph. Und das Phänomen Künstlerprophet, verkörpert von
Komponist und Dirigent, machte sie erkennen, dass überirdischer Elan und
Hingabe die Unterwerfung anderer durchaus rechtfertigen konnte, während sie
zugleich kulturelle Überlegenheit symbolisierten—Verhalten, das auch Hitler
auszeichnete. Auf der Höhe ihres Einflusses war die Macht des
Symphonieorchesters als eine kulturell isomorphe soziale Metapher unübersehbar.
In den Worten Oscar Wildes: „Das Leben imitiert die Kunst viel mehr als die
Kunst das Leben.“ Das Obengenannte behauptet also, dass der
Nationalsozialismus nicht nur das Resultat kurzfristiger geschichtlicher Einflüsse
oder lediglich äusserer gesellschaftlicher Umstände war, sondern auch der
isomorphe Ausdruck westlicher kultureller Wertvorstellungen, die längst
etabliert waren. Eine Gesellschaft, deren künstlerische Ausdrucksmittel
Ethnozentrik, kulturellen Nationalismus, menschliche Objektivierung und überirdisch
gerechtfertigte Alleinherrschaft in Ehren halten, kann dies zwar auf
konstruktive Art in Symphonieorchestern benutzen, muss jedoch sich bewusst
sein, dass die selben kulturellen Wertvorstellungen zu Formen von
Totalitarismus beitragen können. Betrachtet
man die Person Adolf Hitler genauer, so kann man erkennen, dass die
„Radikaler Wille“-Ästhetik des 19. Jahrhunderts schliesslich auf eine
Ethik des„Radikal-Bösen“ des 20. Jahrhunderts getroffen ist[33].
Die ideologischeVereinnahmung des
Bildnis vom Künstlerpropheten Bis zu einem gewissem Grad fuhren die Künstler des 20.
Jahrhunderts fort, sich am Bild des Künstlerpropheten des 19. Jahrhunderts zu
orientieren, wenn auch sie das Gegenteil behaupteten. Im Allgemeinen
unterschieden sie sich von den Romantikern, indem sie ihrem Werk einen Ton von rationalistischer Objektivität zugaben, was ja mit dem
vorherrschend wissenschaftlichen und technologischen Geist des neuen
Jahrhunderts durchaus kulturell isomorph war. Dieser komplizierte Spagat
zwischen der Romantik und dem objektiven Geist des Modernismus brachte einige
der tiefsinnigsten modernen Kunstwerke hervor. Man denke an T.S. Elliots
unvoreingenommene objektive Sprachkunst, die eine von Dantescher mittelalterlicher Spiritualität zu anglikanischer
Ergebenheit reichende Weltsicht ausdrückte; oder an Schönbergs und Bergs von
rigorosen theoretischen Strukturen umhüllten Expressionismus; an George
Crumbs postwebernscher Zelltheorie, den Geist Lorcischen Animismus einfangend;
oder an Pendereckis rauh dissonanten Frühstil der nach und nach zu
romantischen Formen zurückfindet. Das wohl beste Beispiel für einen modernen
Künstlerpropheten bei dem sich romantischer Transzendentalismus offenkundig
zeigt, ist Karlheinz Stockhausen, der nicht nur eine wichtige Rolle bei der
technischen Entwicklung elektronischer Musik gespielt hat, sondern der auch
glaubt, dass sein höchst mystischer Zyklus von sieben langen Opern von einer
höheren Bewusstseinsebene vollendet wird. Patriarchischer Transzendentalismus
ist von Natur aus selbstzerstörerisch, denn er erhebt den Geist
über den Körper,
oder das Spirituelle über das Materielle. In der Kunst tendiert er
daher zu wiederkehrenden Zyklen von Ekstase, Revolution, Zerstörung und Reue.
Das wurde lebhaft durch Hitlers Vereinnahmung des Bildes vom modernistischen Künstlerpropheten
veranschaulicht[34]. Der herumtreibende Maler und selbsternannte Künstler-Führer
aus der Wiener Dachkammer wurde endlich erhört, und mit seiner „göttlichen“
Inspiration und seinem „wissenschaftlichen“ Verständnis, hoffte er, die
Welt zu zerstören und eine auf „wissenschaftlichen“ Ideen von der
Evolution der Rassen, von Erbgesundheitslehre und Euthanasie basierende
Revolution schaffen zu können. (Ebenso gehörten die italienischen
Futuristen, die sowohl moderne Technik als auch die romantisch-transzendente
Autorität des „Übermenschen“ verehrten,
zu den ersten Anhängern Mussolinis.) Die Ehe zwischen
Wissenshaft, Transcendenz und Gewalt war kulturell isomorph mit der
modernistischen Fortführung des aus dem 19. Jahrhundert stammenden Konzept
vom Künstlerpropheten, der als Quelle von Wahrheit und Gerechtigkeit
angesehen wurde, und dem man durch einen Zyklus von Zerstörung und
Wiedergeburt zu folgen hatte. Im Lande Bayreuths hing Hitlers Erfolg zum
grossen Teil von seinem Vermögen ab, die Grenzen zwischen Künstlerprophet
und absolutistischem Diktator zu verwischen. Mit seiner diktatorischen
Musikbesessenheit hatte er eine erstaunlich genaue Vision vom Dritten Reich
als einem grossen Werk des Musiktheaters[35]. Glücklicherweise war seine Götterdämmerung vollkommener
als seine Revolution, die, wie er hoffte, zu einer neuen Weltordnung führen würde,
einer Welt von wissenschaftlich gezüchteten, doch romantisch-transzedenten Übermenschen. Der grössere Entwurf
von Hitlers Idee vom Künstlerpropheten schloss die Wiedererschaffung
der Menschheit nach den Regeln einer neuen Ästhetik mit ein. Von diesem
Blickwinkel aus, war der Holocaust ein Kunstwerk, eine „Reinigung“ der
Kultur, ein „Skulptieren“ der menschlichen Rasse. Die westliche Kultur
hatte die beunruhigende Fähigkeit entwickelt, Ästhetik so zu idealisieren,
dass sie den Reiz des Bösen verstärkt. Ästhetik und politische Ideologie
hatten sich also zu einer einzigen furchterregenden Kraft zusammengefunden.
Das menschliche Leben wurde zu Lehm in den formenden Händen des Künstlerpropheten. Das Konzept vom Künstlerpropheten bereicherte die künstlerisch-expressive
Kreativität, doch gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte es bereits eine
Tendenz zu ideologischer Kategorisierung und Orthodoxie entwickelt. (Dies
sieht man zum Beispiel an den nationalistischen Konzepten der Opern Wagners
und Verdis.) Der Künstlerprophet systematisierte den Glauben, indem er die ästhetische
Ideologie in Begriffe fasste, und dies wurde kulturell isomorph mit den im 20.
Jahrhundert vorherrschenden systematischen Formen gesellschaftlicher und
wirtschaftlicher Organisation. Wir können die Essenzen
des kulturellen Isomorphismus zum Beispiel beobachten an der „Gleichschaltung“[36]
im Dritten Reich, am sozialistischen Realismus im Ostblock, an der
Kommerzialisierung der amerikanischen Kultur und an der „Kulturrevolution“
im maoistischen China. Ebenso wie die politischen Schranken des 20. Jahrhunderts reduzierten diese ästhetischen Orthodoxien den menschlichen Ausdruck zu systematischen Konzepten die zum Formalismus und Reduktionismus neigen, und die oft von modernistischen Künstlern in der Rolle ästhetischer Propheten entwickelt wurden, die mehr oder weniger eine transzendental gerechtfertigt patriarchalische Funktion innerhalb ihrer Gesellschaft einnahmen. Diese ästhetischen Systeme hatten die Tendenz, kulturell isomorph mit den politischen und wirtschaftlichen Strukturen zu sein, in denen sie existierten, und regelmässig liess sich der Künstler oder zumindest sein öffentliches Image von totalitaristischen Strukturen vereinnahmen. Das
Aussterben des Künstlerpropheten in der postmodernen Welt Die Modernisten machten
sich den vermeintlichen Rationalismus zu Eigen, doch wegen ihrer komplexen und
oft zerstörerischen Beziehung zum Vermächtnis der Romantik des vorigen
Jahrhunderts, schienen sie und ihre Kulturen oft geistig enteignet. Nach den
Schrecken des Zweiten Weltkriegs waren Kompnisten auf der Suche nach neuen
Formen von Autorität im musikalischen Ausdruck. Dies ermöglichte Amerika zum ersten Mal in der Geschichte
die Weltbühne der Musik zu betreten. Der einflussreichste dieser Komponisten war John Cage, der
durchsetzte, dass jede Art von Klang als musikalisches Material dienen kann.
Dies konnte in aleatorischen Formen --die vom Willen des Künstlers
unabhängig waren-- vorgeführt werden. Wegen des historischen Kontexts, hatte
dies tiefgreifende Auswirkungen. Die vom Krieg gezeichneten Europäer wussten,
das das Dritte Reich zum Teil ein Ausdruck ihrer kulturellen Wertvorstellungen
gewesen war, und dieser ehemalige Schüler Schönbergs öffnete eine neue
Welt, eine Emanzipation des Klanges, befreit von der völkermörderischen
Vergangenheit. Doch am Ende des Kalten Krieges schmolzen die
weltpolitischen Pole ebenso wie die ideologischen, die von modernistischen Künstlerpropheten,
sogar solcher wie Cage, wiedergegeben wurden. Und als die Postmodernisten sich
immer mehr in die Natur menschlicher
Wahrnehmung hineindrängten, wurde die Autorität des Wissens selbst immer mehr angezweifelt. Sie
offenbarten nicht nur die willkürlichen Formen des Wissens, sondern auch ihre
Verwirrung, Unentschlossenheit und ihre Subjektivität.
Dies war wiederum kulturell isomorph mit der komplexen phänomenologischen
Welt post-Newtonscher Wissenschaft, die mit ihrer eigenen Tendenz zu rationalem Reduktionismus und ihrem Anspruch auf objektive Gewissheit konfrontiert wurde. Das westliche
Paradigma von der Trennung von Subjekt und Objekt wurde ersetzt von dem Verständnis,
dass die Wirklichkeit eine komplexe phänomenologische Gestalt ist, eine
voneinander abhängige und immer wachsende Ehe zwischen Geist und Natur, die
nicht nur neue Wahrheitskonzepte, sondern auch neue Formen von Schönheit
hervorbringt. Diese Ehe bringt einen neuen Humanismus sowohl in die
Wissenschaft als auch in die Kunst. Stimmt die Theorie vom kulturellen Isomorphismus, so
werden sich im Globalen Dorf neue künstlerische Genres entwickeln, die sich
von den Kreationen der Künstlerpropheten, die die feudalistischen,
nationalistischen und monolithischen politischen Ideologien der europäischen
Geschichte repräsentieren, unterscheiden werden. Verbindende technologische
Entwicklungen—so wie die gemeinschaftliche musikalische Komposition via
Internet und die Fähigkeit, Informationen weltweit schnell zu verbreiten und
abzurufen—werden neue Konzepte von Gemeinschaft hervorbringen. Vorstellungen
von stilistischer Orthodoxie werden vermindert werden, und diskriminierte
Gruppen wie Frauen oder Minderheiten werden grösseren Zugang zu den
Machtschauplätzen haben, die von neuen Formen grossangelegter Networks
erschaffen werden. Fortschritte wie diese werden das patriarchalische Kulturkonzept vom Künstllerpropheten schwächen und die autoritären, hierarchischen Strukturen des Symphonieorchesters, das sein Instrument war, ersetzen. Der Wunsch von Orchestern wie der Wiener Philharmoniker, ein historisches öffentliches Image ethnischer und geschlechtlicher Reinheit zu behalten, wird ein dunkles Kapitel der Vergangenheit repräsentieren, ein Überbleibsel von autoritären, überirdisch gerechtfertigten Kulturnationalismus, der am Ende politische und ästhetische Ideologie zu einer furchterregenden Kraft zusammenführte. Die neuen sich entwickelnden gesellschaftlichen Strömungen werden ihren Teil dazu beitragen, dass die westliche Kultur den katastrophalen blinden Fanatismus vermeiden wird, der das 20. Jahrhundert zu Brutalität, Krieg und Völkermord geleitet hat. Übersetzung:
Martin Wittenberg [1] Jan Herman, „For Violist, the rules never seemed to change,“ The
Los Angeles Times (27. Februar
1998) [2] Das Interviewmaterial wurde vom Autor und Regina
Himmelbauer transkribiert aus: “Musikalische Misogynie,” eine Sendung des
Westdeutschen Rundfunks, 13. Februar 1996. Siehe auch: William Osborne: „Art Is
Just An Excuse: Gender Bias in International Orchestras“, Journal of the International Alliance for Women in Music, Vol. 2,
No. 3, S. 6 (Oktober 1996) [3] Die zweite „Dame” ist Adelheid Miller, die nicht
bei den Wiener Philharmonikern spielt. Sie arbeitet im Orchester der Wiener
Staatsoper. Die Mitglieder des Staatsopernorchesters unterhalten die
Philharmoniker als privates Nebenunternehmen, doch Miller wurde wegen persönlicher
Differenzen ausgeschlossen. Sie ist kürzlich in Pension gegangen und ihr
folgte eine weitere weibliche Harfenistin, Julie Palloc, die sich nach dreijähriger
Anstellung im Opernorchester für die Mitgliedschaft bei den privaten
Philharmonikern qualifizieren wird. Die Wiener Staatsoper/Wiener
Philharmoniker haben die Anstellung von Frau Palloc als Fortschritt
dargestellt, obwohl sie schon immer weibliche Harfenistinnen benützt haben. [4] Ibd. [5] Elena Ostleitner, Liebe,
Lust, Last und Lied (Wien, Bundesministerium für Unterricht und Kunst,
1995) S. 6 [6] „Musikalische Misogynie,“ eine Sendung des
Westdeutschen Rundfunks, 13. Februar 1996. Siehe auch: Roland Girtler,
„Mitgliedsaufnahme in den Noblen Bund der Wiener Philharmoniker Als
Mannbarkeitsritual“, Sociologia
Internationalis, Beiheft 1 (1992) [7] Otto Strasser, Und dafuer wird man noch bezahlt: Mein Leben mit den Wiener Phiharmonikern (Wien:
Paul Neff Verlag, 1974) S. 21-22. [8] „Von Tag zu Tag“, eine Sendung des Österreichischen
Rundfunks, 11. Dezember 1996, 16.05 Uhr bis 16.45 Uhr. Der Lehrer, der Zeuge
des Vorfalls war, sprach in dieser Sendung und zitierte Resels Stellungnahme.
Das Transkript ist vom Autor. [9] Die Statistiken zu
den Wiener Symphonikern sind aus: Elena Ostleitner, Liebe,
Lust, Last und Lied (Wien, Bundesministerium für Unterricht und Kunst,
1995) S. 62. Die Statistiken für die ostdeutschen Orchester sind aus: Jutta
Allmendinger, „Staatskultur und Marktkultur, Ostdeutsche Orchester im
Vergleich“, unveröffentlichtes Arbeitspapier (Report No. 2, Cross-National
Study of Symphony Orchestras, Harvard University Business School, 1991) table
1. Die Statistiken zu den Wiener und Berliner Philharmonikern wurden vom Autor
zusammengestellt. In Berlin gab es vier weitere Frauen im Probejahr. Die
Situation hat sich seitdem verbessert, doch die Frauenquote in diesen
Orchestern ist nach wie vor ziemlich niedrig, im Allgemeinen unter 10%. Fast
alle Frauen spielen in den Tuttistreichern. [10] Clemens Hellsberg, Demokratie der Könige: Die Geschichte der Wiener Philharmoniker (Zürich:
Schweizer Verlagshaus; Wien: Kremayr & Schierau; Mainz: Musikverlag
Schott, 1992) S. 464. Hellsberg ist der Vorstand der Wiener Philharmoniker.
Sein Buch ist verhältnismässig offen in der Diskussion über die
Zusammenarbeit des Orchesters mit dem Nationalsozialismus, doch seine
Anmerkungen besitzen oft einen rationalisierenden Ton. [11] Ibd. S. 505 [12] Ibd. S. 464 [13] Wilhelm Jerger, Erbe
und Sendung (Wien: Wiener Verlag Ernst Sopper & Karl Bauer, 1942)S.
87. Exemplare dieses Buchs sind sehr rar. Vielen Dank an Manuela Schreibmaier
und Regina Himmelbauer für das Auffinden und Besorgen eines Exemplares für
mich. [14] Ibd. S. 57 [15] Ibd. S. 510 [16] Ibd. S. 518 [17] Erwin Kroll, „Der Warthegau huldigt Pfitzner.“ Allgemeine
Musikzeitung, Leipzig (LXIX/10, 18. September 1942; zitiert in: Prieberg,
Fred K., Musik im NS-Staat
(Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1982) S. 224. Siehe auch:
Hellsberg, 549-551. Hellsberg bezeichnet die Unterstützung Pfitzners als
humanen Akt und als „Meilenstein“ in der Orchestergeschichte. [18] Hellsberg, S. 514 [19] Diese Modelle könnten auch erklären, warum
Institutionen zu ihrer Umgebung eine Opposition bilden, oder warum sie an
einem bestimmten Zeitpunkt einfrieren. So weit ich weiss, ist der Terminus kultureller
Isomorphismus meine eigene Erfindung. Ich habe ihn von soziologischen
Modellen über die Beziehungen zwischen Institutionen und ihrer Umgebung
abgeleitet. Für eine Studie über Institutions-Umgebungs-Modelle angewandt an
zeitgenössischen Symphonieorchestern des ehemaligen Ostdeutschlands, siehe:
Jutta Allmendinger und J. Richard Hackman, „Organizations in changing
Environments: The Case of East German Symphony Orchestras“,
Administrative Science Quarterly, No. 41, S. 337-369, Cornell University
(1996). Siehe auch: Arthur Stinchcombe, „Social Structure and Organizations“
in James G. March (Hrsg.), Handbook of
Organizations (Chicago: Rand McNally, 1965) S. 142-149. Und: Paul J.
DiMaggio und Walter W. Powell, „The iron cage revisited: Institutional
isomorphism and collective rationality in organizational fields“,American
Sociological Review, No. 48, S. 147-160 (1983). Die Theorie könnte mit der Soziologie des Wissens
verwandt sein wie sie von Autoren von Marx bis Habermas entwickelt wurde. Eine
spezifische Beziehung besteht zu den frühen Schriften Adornos, die die ästhetische
Entwicklung als wichtig für die geschichtliche Entwicklung und die Suche nach
„Wahrheit“ herausstellen. [20] Feudalismus war ein politisches und wirtschaftliches
System im Europa des neunten bis etwa fünfzehnten Jahrhunderts, das sich
durch Vassalentum auszeichnete. Der Ausdruck wird auch oft benutzt, um sich
auf eine politische, ökonomische oder soziale Ordnung, die diesem
mittelalterlichen System gleicht, zu beziehen. In diesem Artikel beziehe ich
mich auf das kulturelle Vermächtnis des Feudalismus, das Europa weit bis ins
19. Jahrhundrt hinein geprägt hat. [21] Eine der bedeutenten Ideologen der Überlegenheit der
deutschen Rasse war Houston Stewart Chamberlain, dessen Buch Die
Grundlagen des 19. Jahrhunderts (1899) die „arische“ Grossartigkeit in
groben Zügen darstellte. Sein Rasse und
Persönlichkeit (1925) beeinflusste Hitler unmittelbar. Er war ein
Bewunderer Wagners und schrieb 1892 Notes
sur Lohengrin. Eine Biographie des Komponisten folgte 1895. 1907 liess er
sich in Bayreuth nieder und heiratete Wagners einzige Tochter Eva. [22] Ähnliche Ansichten durchdringen die Rezeption
klassischer Musik auch weit ausserhalb Österreichs. Die
Musikwissenschaftlerin Pamela L. Potter vermutet, dass dies mit den
spurenhaften, unbewussten Vorstellungen von der germanischen kulturellen Überlegenheit
zusammenhängt. Siehe
Pamela L. Potter, Most German of the
Arts (New Haven: Yale University Press, 1998) S.
260. [23] Für eine nützliche Diskussion dieser Autoren siehe:
Peter Pulzer, Germany, 1870-1945:
Politics, State Formation, and War (Oxford University Press, 1997) [24] In Wirklichkeit schliesst das Orchester bewusst
Menschen zahlreicher zentraleuropäischer Länder aus, besonders der nicht
deutschsprachigen. [25] Carl Dalhaus hat den Dirigenten als halb
Feldmarschall, halb Zauberer beschrieben: „In
der imperialen Geste des Kapellmeisters steckt die Gebärde des Feldherrn, der
über seine Truppen gebietet, und zugleich des Zauberers, der ein Wunderreich,
E.T.A. Hoffmanns Dschinnistan, beschwört.“ [26] Was Dirigenten in den Schulen der USA betrifft, so
fand Christina McElroy heraus, dass am Ende ihrer von 1984-1994 weilenden
Studie: 97,7 % der professors männlich waren; 95,5 % aller associate
professors männlich waren; 91,3 % aller assistant professors männlich waren.
Siehe:
Christina McElroy, „The Status of Women Orchestra and Band Conductors in
North American Colleges and Universities: 1984-1996“ (#9717189, UMI) [27] Jörg Eggebrecht, “Reise
ins Herz,” Philharmonische Blätter,
91/92 Jahrgang 7, Heft 6, S.14 (Februar/März 1992.) Maestro Celibidache verriet mehr über die Natur dieser
„vaterlosen Gesellschaft“ als ihn ein Interviewer einmal über seine
Meinung zu Musikkritikern befragte: „Diese
Leute, die taglich alles vergiften, sollten einmal pausieren oder über
Gynakologie schreiben. Auf dem
Gebiet hat doch jeder ein bisschen Erfahrung.
Aber in der Musik sind sie Jungfrauen.
So bleiben sie, so gehen sie auch in die andere Welt hinüber, nie von
einem wirklich erlebten Klang befruchtet.
Hans
Richard Stracke, “Kritiker sind Flaschen mit Sauerkraut-Ohren”, Abendzeitung
Munchen, November 10, 1984. [28] Juliet Flower MacCannell
argumentiert, dass Faschismus nicht patriarchalisch ist oder nichts mit dem
Vater zu tun hat, sondern mit fantasmischem Fraternismus. Siehe:
Juliet Flower MacCannell,The Regime of
the Brother: After the Patriarchy (London and New York: Routledge, 1991). In
seinem Buch Männerphantasien. Zur
Psychoanalyse des weißen Terrors (München, 1995) untersucht Klaus
Theweleit die Rolle der deutschen Männerbündeleien bei der Entwicklung des
Faschismus. Der Holocaustforscher Daniel Goldhagen beschreibt in Hitler’s Willing Executioners (New York: Alfred A. Knopf, 1996)
auf S. 248 wie eine Gruppe von Soldaten im Polizeibattalion der Wehrmacht, die
regelmässig Völkermordsaktionen durchführte, plötzlich moralische
Konflikte wegen ihrer Handlungen verspürten, als einer der Ehefrauen der
Offiziere anwesend waren. [29] In seinem Buch Noise:
The Political Economy of Music (Manchester University Press, 1985) führt
Jacques Attali an, dass Musik wiederholt die ökonomischen Entwicklungen der
Gesellschaft vorausgenommen hat. Für eine höchst lesbaren und faszinierende
Darstellung des Weges vom Europa des 19. Jahrhunderts in den Ersten Weltkrieg
siehe: Barbara Tuchman, The Proud Tower
(New York und London: The Macmillan Company, 1966) [30] Es gab weitere Gründe für die Vergrösserung des
Orchesters, wie die Schaffung von Tondichtungen, die die Weite der Natur
darstellten; doch auch diese Tongemälde enthielten oft nationalistische
Untertöne, wie in Strauss’ „Alpensymphonie“ [31] Informationen über die nationalsozialistische
Verwendung der Berliner Philharmoniker und des Brucknerorchesters
können gefunden werden in: Fred K. Prieberg: Musik
im NS-Staat, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1982). Die Münchner
Philharmoniker waren als „Das
Orchester der Hauptstadt der [faschistischen] Bewegung“ bekannt und
stempelten all ihr Notenmaterial mit diesen Worten, die um einen ein
Hakenkreuz haltenden Adler geschrieben sind. 1991 musste ich zwei Briefe an
die Münchner Kulturbehörde schreiben, damit die Hakenkreuze von den alten,
noch regelmässig benutzten Noten entfernt wurden. [32] „Kulturrede beim Reichsparteitag 1933 in Nürnberg,“
Baustein zum Nationaltheater I/3
(Dezember 1933) S. 67 [33] Thomas Mann war einer der ersten, der bemerkte, das
Hitler sich als mythenschaffender Künstler präsentierte. Wie
zitiert in: Gordon Craig, The Germans
(New York: Meridian Books, 1982) S. 67 [34] In Die Welt als
Wille und Idee (1819) und anderen einflussreichen Schriften, die darauf
folgten, erschuf Arthur Schopenhauer eine Philosophie, die sich dafür
einsetze von Geist und Vernunft weg sich den Kräften von Intuition, Kreativität
und dem Irrationalen hinzugeben. Diese Meinung hatte grossen Einfluss auf
Nietzsche, der in Die Geburt der Tragödie
(1872) verkündete, dass Kunst und Literatur sich die Dionysischen Elemente
des Irrationalen aneignen müssten, um existieren zu können. Diese Sichtweise
führte zu dem radikalen Willen von Nietzsches Übermenschem in Also sprach Zarathustra. Schopenhauer und Nietzsche beeinflussten
wiederum das deutsche Kulturreich von Wagner und Pfitzner bis zu Wedekind und
Freud. Die gestohlene Idee vom Radikalen Willen wurde Teil des faschistischen
Heldenkultes und beeinflusste Handlungen, die als das Radikale Böse
bezeichnet werden könnten. Siehe auch: Joan Copjec, Hrsg., Radical
Evil (London and New York: Verso, 1996). [35] In seinem Buch Adolf
Hitler (New York: Doubleday, 1976) S. 22 gibt John Toland den Bericht
eines Augenzeugen wieder, der sah, wie Hitler selbst als junger Mann in eine
Art Trance verfiel, als er zum ersten Mall Rienzi
hörte, und anfing, von seiner ihm bevorstehenden Mission zu reden. Auf den
Seiten 35 und 36 wird berichtet, dass Hitler mehrere Wochen an einem
Opernlibretto basierend auf Wieland der
Schmied arbeitete, nachdem er von den Skizzen zu einem Musikdrama darüber
in Wagners posthum entdeckten Papieren erfahren hatte. In seiner Einleitung
zur Übersetzung von Mein Kampf
schreibt Ralph Manheim, dass die Hauptquelle von Hitlers Lieblingsphrasen das
Theater und die Oper waren. Hitler war Stammgast in Bayreuth und eine persönliche
Wohnstätte wurde für ihn auf dem Grundstück erbaut. Sie steht immer noch
dort. [36] Gleichschaltung
war die Politik, alle kulturellen, intellektuellen und gesellschaftlichen
Aktivitäten im Dritten Reich mit den Ideologien des Nationalsozialismus in
Gleichklang zu bringen.
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